Die nächste Begegnung
hatte, aber er wusste, dass er in mehrfacher Hinsicht >straffällig< geworden war. Aber bei der Vorstellung, Monate oder gar Jahre im Gefängnis verbringen zu müssen, überkam ihn ein Gefühl von heftigem Ekel und Widerwillen. Das werde ich unter gar keinen Umständen zulassen .. .
Er tastete die Innenwandung des Habitats hinunter, ob es da vielleicht ausreichend Unebenheiten gab, an denen er sich mit den Füllen und Händen abstützen konnte. Als er sicher war, dass ein Abstieg nicht unmöglich war, holte er aus seinem Pack das Kletterseil und hakte ein Ende an den Befestigungen der Maschendrahttür ein. Nur für den Fall, dass ich ausrutsche, sagte er sich.
Inzwischen war in der Gangöffnung hinter ihm ein zweites Licht aufgetaucht. Richard hatte das Seil fest um sich geschlungen und stieg nun in das fremde Habitat hinab. Er sicherte sich nicht ab, benutzte jedoch das Seil ab und zu als zusätzlichen Halt, während er in der Finsternis nach einem festen Tritt tastete. Bergsteigerisch stellte der Abstieg keine besonderen Anforderungen: Es gab zahlreiche Querrinnen, in denen Richard Tritt finden konnte.
Und so stieg er weiter und weiter hinab. Als er seiner Schätzung nach etwa sechzig, siebzig Meter abgestiegen war, beschloss er haltzumachen und seine Taschenlampe aus dem Rucksack zu holen. Doch der Lichtkegel die Wand hinunter zeigte ihm auch nichts Tröstliches: Noch immer konnte er nicht bis auf den Grund sehen. Etwa fünfzig Meter weiter unten konnte er allerdings etwas ausmachen, etwas sehr Diffuses, wie eine Wolke oder wie Nebelschwaden. Na, das ist ja prachtvoll, dachte er grimmig, einfach super!
Dreißig Meter tiefer, und er war am Ende seines Seils. Die Feuchtigkeit, die aus dem Nebel heraufstieg, konnte er bereits riechen. Mittlerweile war er sehr, sehr müde. Da er aber auf die Sicherheit, die ihm das Seil bot, nicht verzichten wollte, kletterte er die Wand wieder ein paar Meter nach oben, wand sich das Seil mehrmals um den Leib, presste sich gegen die Wand ... und schlief ein.
2
Seine Träume waren höchst seltsam. Häufig stürzte er in ihnen kopfunter, ohne aber je auf dem Grund aufzuschlagen. Im letzten Traum, ehe Richard erwachte, wurde er in einer kleinen weiß gestrichenen Zelle von Toshio Nakamura und zweien seiner schlitzäugigen Schlägergorillas verhört.
Als er erwachte, wusste er zunächst nicht, wo er sich befand. In einer ersten instinktiven Bewegung zuckte seine Wange von der Metallwand zurück. Etwas später kam ihm die Erinnerung, dass er ja vertikal hängend an der Innenwandung des Avianischen Habitats eingeschlafen war. Er knipste seine Stablampe an und blickte nach unten. Sein Herzschlag stockte fast, als er sah, dass die Nebelbank verschwunden war und die Wand sich tief nach unten fortsetzte, bis sie endlich auf etwas stieß, das wie Wasser aussah.
Er legte den Kopf zurück und spähte nach oben. Da er wusste, dass er etwa neunzig Meter unter der Luke hing (das Sicherungsseil war hundert Meter lang) , konnte er die Entfernung bis zum Wasser auf dem Grund abschätzen: noch etwa zweihundertfünfzig Meter. Als sein Hirn die missliche Lage ganz zu begreifen begann, in der er sich befand, begannen ihm die Knie zu zucken. Und als er sich aus den zusätzlichen Sicherungsschlaufen befreite, zu denen er das Seil geschlungen hatte, ehe er einschlief, merkte er, dass ihm auch die Hände und Arme zitterten.
Sein Fluchtdrang war ungeheuer stark, und er wäre am liebsten wieder zur Schleuse hinaufgeklettert, um aus dieser unvertrauten Welt zu verschwinden. Doch er kämpfte gegen diese instinktive Reaktion an und sagte sich: Nein, noch nicht gleich. Erst wenn mir gar nichts andres übrigbleibt.
Er beschloss, zunächst einmal etwas zu essen. Sehr behutsam wickelte er sich teilweise aus den Sicherungsschlingen und zog Nahrungs- und Wasserportionen aus seinem Pack. Dann drehte er sich halb um und richtete den Lampenstrahl ins Innere des Habitats. In der Ferne glaubte er umrisshaft Formen auszumachen, war sich jedoch nicht sicher. Vielleicht bilde ich mir das ja nur ein, dachte er.
Als er sein Frühstück beendet hatte, überprüfte er die Nahrungs- und Wasservorräte im Pack, und dann stellte er im Kopf eine Liste der ihm möglichen Optionen auf. Das Ganze, brummte er mit einem nervösen Lachen, ist höchst simpel. Ich kann nach New Eden zurückgehen und mich dort ins Kittchen stecken lassen ... oder auf die Sicherheit des Seils verzichten und weiter die Wand runtersteigen. Er spähte
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