Die nächste Begegnung
Maschinen zurückgezogen, und das große, kreisrunde Raumschiff glitt sacht aus der Station.
Der >Seestern< vor uns war bereits vorgerückt und wurde von einem Gebilde aus Schiebebühnen und Halterungen in Empfang genommen, als ein lauter Pfeilalarm uns in Rama nach oben rief. Dem Pfeifen folgte ein Lichterspektakel in der Südschüssel. Doch diesmal war das Display ganz anders als die früher beobachteten. In dieser neuen Show war das >Große Horn< der Star. An seiner Spitze bildeten sich farbige Ringe, die dann um die Drehachse Ramas zent ri ert langsam nordwärts schwebten. Die Lichtkreise waren riesig, Richard schätzte ihren Durchmesser auf mindestens einen Kilometer, die Ringbreite auf vierzig Meter.
Die dunkle Rama-Nacht war gleichzeitig von acht dieser Ringe erleuchtet. Bei den drei Wiederholungen blieb die Farbsequenz stets gleich: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Braun, Rosa und Purpur. Sobald ein Ring aufriss und in der Nähe der Alpha-Relaisstation in der Nordschüssel Ramas verschwand, bildete sich um die Spitze des >Großen Horns< ein neuer in der gleichen Färbung.
Wir standen mit offenen Mäulern wie gelähmt da. Als der letzte Ring der d ri tten Kombination verschwand, ereignete sich noch etwas Verblüffendes. In Rama flammten alle Lichter auf. Dabei war die Nacht erst vor drei Stunden angebrochen — und dreizehn Jahre lang war die Tag-Nacht-Folge stets vollkommen regelmäßig gewesen. Auf einmal war das anders. Aber es war nicht nur das Licht. Es kam auch Musik — jedenfalls nehme ich an, man könnte es so nennen. Es klang wie Millionen von kleinen Glocken und schien aus allen Richtungen zu kommen.
Minutenlang bewegte sich keiner von uns. Dann erspähte Richard, der das beste Fernglas hatte, ein Objekt, das auf uns zugeflogen kam. »Die Avianer!«, schrie er und hüpfte aufgeregt hin und her und zeigte nach oben. »Mir ist grad wieder was eingefallen. Ich hab die Vögelleute in ihrem neuen D o mizil besucht, drüben im Norden, als ich auf meiner Odyssee unterwegs war.«
Einer nach dem anderen schauten wir durch das Fernglas. Zunächst war nicht sicher, ob Richard mit seiner Identifizierung recht behalten würde, doch als sie näher herankamen, lösten sich die fünfzig, sechzig dunklen Flecken zu jenen gewaltigen vogelähnlichen Wesen auf, die wir Avianer nennen. Sie zogen direkt auf New York zu. Die Hälfte des Zuges blieb in der Höhe schweben, etwa dreihundert Meter über ihrem ehemaligen Bau, die andre Hälfte stieß zum Boden nieder.
»Los, Daddy, komm schon!«, kreischte Katie.
Und ehe ich Einwände machen konnte, sprinteten Vater und Tochter davon. Ich schaute ihr nach. Sie ist jetzt schon sehr schnell. Im Geist sah ich meine Mutter graziös über den Rasen im Park von Chilly-Mazarin laufen — Katie hat eindeutig auch einige Eigenschaften ihrer mütterlichen Familie mitbekommen, auch wenn sie hauptsächlich und vor allem die Tochter ihres Vaters ist.
Simone und Benjy waren bereits wieder heim zu unserem Bau unterwegs. Patrick machte sich Sorgen wegen der Vögel. »Werden die Daddy und Katie was tun?«, fragte er.
Ich lächelte meinen bildschönen Fünfjährigen an. »Nein, Liebling, bestimmt nicht, wenn sie vorsichtig sind.« Dann kehrten wir mit Michael und Ellie in unseren Bau zurück und schauten uns an, wie der >Seestern< in der Zwischenstation entladen wurde.
Viel bekamen wir ja nicht zu sehen, denn sämtliche Zugänge zu dem Schiff lagen zur anderen Seite hin, nicht im Blickfeld der ramanischen Kameras. Aber wir nahmen an, dass dort irgendwelche Ausschiffungsaktionen im Gang waren, denn nach einiger Zeit machten sich fünf Shuttles zu einem neuen Ziel auf. Das Manöver ging rasch vonstatten, und der >Seestern< hatte die Zwischenstation bereits wieder verlassen, ehe Richard mit Katie zurückkehrte.
»Fangt an zu packen«, sagte er atemlos, kaum war er eingetreten. »Wir gehen fort. Wir gehen alle weg.«
»Die hättest du sehen sollen«, sagte Katie fast gleichzeitig zu Simone. »Die sind riesig. Und scheußlich! Sie sind in ihre Höhle runtergeflogen ...«
»Die Avianer sind zu ihrem Bau zurückgekehrt, um ein paar besondere Sachen mitzunehmen«, unterbrach Richard sie. »Vielleicht irgendwelche Erinnerungsstücke. Jedenfalls, es passt alles zusammen. Wir werden hier fortgehen.«
Während ich umherhastete und unsre wertvollste Habe in einige feste Behälter zu verstauen begann, beschimpfte ich mich selber, weil ich nicht früher auf den Gedanken gekommen war. Wir hatten
Weitere Kostenlose Bücher