Die nächste Begegnung
früheren Leben auf einem fernen Planeten.
In seiner Kindheit und Jugend hatte ihn diese Bibel überallhin begleitet. Während er jetzt das schwarz gebundene Büchlein in den Händen hin und her drehte, drängten Fluten von Erinnerungen auf ihn ein. Zuerst war er wieder ein kleiner Junge von sechs, sieben Jahren. Sein Vater war in sein Zimmer gekommen, und Michael war gerade mitten in einem Baseball-Spiel auf seinem PC und etwas verlegen — wie immer, wenn sein unfröhlicher Vater ihn beim Spielen ertappte.
»Michael«, sagte sein Vater, »ich habe ein Geschenk für dich. Eine eigene Bibel, ganz für dich allein. Es ist ein echtes Buch, eins, bei dem du beim Lesen die Seiten umblättern musst. Wir haben deinen Namen auf den Einband prägen lassen.«
Der Vater reichte ihm das Buch, und der kleine Michael nahm es mit einem leisen »Danke«, entgegen. Der Einband war aus Leder und fühlte sich gut unter den Fingern an. »Da d ri n stehen einige der tiefsten Weisheiten und Lehren, die ein Mensch je erfahren kann«, fuhr der Vater fort. »Lies es sorgfältig. Und lies oft darin. Und richte dein Leben an seiner Weisheit aus.«
Und in der Nacht, erinnerte sich Michael, habe ich die Bibel unter mein Kopfkissen gelegt, und da ist sie geblieben. Während meiner ganzen Kindheit. Sogar später in der Highschool. Er erinnerte sich, was er anstellen musste, als das Baseball-Team seiner Schule die Lokalmeisterschaft errang und sie nach Springfield zu den Landeswettkämpfen fuhren. Er nahm seine Bibel mit, aber er wollte nicht, dass seine Mannschaftskameraden sie sähen. Eine >Bibel< — das war einfach nicht cool für einen Sportler, und der junge Michael O'Toole besaß einfach noch nicht genug Selbstvertrauen, um die Furcht vor dem Spott seiner Kameraden zu überwinden. Also bestimmte er in seinem Waschbeutel ein Fach für das Buch und verstaute es dort, vorsorglich in einer wasserdichten Schutzhülle verpackt. Und in ihrem Hotelzimmer in Springfield wartete er, bis sein Zimmergenosse ein Bad nahm. Erst dann holte Michael die Bibel aus ihrem Versteck und schob sie unter sein Kopfkissen.
Ich hab sie sogar mit in die Flitterwochen genommen. Aber Kathleen war ja auch so verständnisvoll. Wie immer mit allem. Dem kurzen Erinnerungsbild einer starken Sonne und des weißen Strandes vor ihrer Hotelsuite auf den Kaimanen folgte sofort das Gefühl eines tiefen Verlustes. Wie geht es dir, Kathleen?, fragte er laut. Wohin hat dich das Leben verschlagen ?Im Geist sah er sie, wie sie in ihrem Luxus-Condominium an der Commonwelth Avenue in Boston herumhantierte. Unser Enkel muss inzwischen ein Teenager sein, dachte er. Sind noch mehr gekommen ? Wie viele Enkel?
Sein Kummer vertiefte sich, während er an seine Familie dachte — an seine Frau Kathleen, seine Tochter Colleen, seinen Sohn Stephen ... und all die Enkelkinder —, wie sie sich um den langen Weihnachtstisch scharten ... und er war nicht bei ihnen. Er malte sich aus, wie draußen in der Avenue leichter Schnee niederrieselte. Wahrscheinlich spricht Stephen jetzt das gemeinsame Tischgebet, dachte er. Der war immer schon das frömmste von den Kindern.
Michael O'Toole schüttelte den Kopf. Er zwang sich in die Gegenwart zurück und schlug die Bibel auf. Am Kopf des Deckblatts stand in schöner Schrift >Meilensteine<. Die Eintragungen waren nur wenige, insgesamt nur acht ... die Chronik einschneidender Ereignisse in seinem Leben:
13-07-67 — Ehelichte Kathleen Murphy in Boston/Mass.
30-01-69 — Sohn Thomas Murphy O'Toole geboren, Boston
13-04-70 — Tochter Colleen Gavin O'Toole geboren, Boston
27-12-71 — Stephen Molloy O'Toole geboren, Boston
14-02-92 — Thomas Murphy O'Toole gestorben in Pasadena, Calif.
Hier hakte sich Michaels Blick fest, am Tod seines erstgeborenen Sohnes, und es traten ihm Tränen in die Augen. Lebhaft hatte er das Bild dieses Valentinstages vor sich. Er hatte Kathleen zum Dinner in ein bezauberndes Bostoner Hafenrestaurant ausgeführt. Sie hatten fast zu Ende gespeist, als die ersten Nachrichten sie erreichten. »Bitte verzeihen Sie, dass ich Ihnen die Desserts so spät vorlege«, hatte sich ihr junger Kellner entschuldigt. »Ich war drüben in der Bar und habe die Nachrichten angeschaut. In Südkalifornien hat es ein verheerendes Erdbeben gegeben.«
Ihre Angst war sofort aufgeflammt. Tommy, ihre Freude und ihr Stolz, hatte ein Stipendium am Cal-Tech zuerkannt bekommen, nachdem er in Holy Cross als bester Absolvent seinesJahrgangs die
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