Die Nächte der Aphrodite
Geduld nicht, Elaine«, sagte er mit einem drohenden Unterton.
»Ach, tue ich das etwa?«, fragte sie mit unschuldsvoller Miene, wartete seine Antwort aber nicht ab, sondern erhob sich und ging aufgeräumt an ihm vorbei. Bei der Tür blieb sie stehen, um ihm einen Blick über die Schulter zuzuwerfen. »Wir sehen uns, Troy. Und du solltest dich wirklich ausruhen, die Nächte der Aphrodite haben es in sich, glaub mir, mein Lieber.«
In Henris Kopf hämmerte eine Gruppe Bergleute mit kleinen silbernen Spitzhacken. Er rollte sich stöhnend auf die Seite. Was war geschehen? Und wo befand er sich überhaupt?
Seine Hand, die in einem ledernen Handschuh steckte, tastete über den Untergrund. Hart, uneben, grasbewachsen. Mühsam öffnete er die Augen und blinzelte in das grelle Sonnenlicht. Als er sich aufrichten wollte, protestierte jeder Knochen in seinem Leib mit einem wütenden Aufschrei.
Fuego graste ein paar Meter von ihm entfernt. Der Rücken des Pferdes war nackt. Henri blickte sich um. Der Sattel lag hinter ihm. Mit mehreren Versuchen gelang es ihm, sich aufzurappeln und auf allen vieren hinüberzukriechen.
Er drehte den Sattel um und inspizierte den Gurt. Als er die Enden untersuchte, stockte ihm der Atem. Er hatte mit brüchigem, abgewetztem Leder gerechnet, aber statt ausgefranster Kanten sah er nur glatte Enden. Jemand hatte den Gurt eingeschnitten, damit er bei der ersten größeren Belastung riss.
Die Erkenntnis, was das bedeutete, lähmte Henri. Jemand begnügte sich nicht damit, ihm mit Gerüchten und Intrigen das Leben schwer zu machen, sondern war ganz offensichtlich entschlossen, ihn in einem kühlen Grab zu sehen. Fast hatte er den Zwischenfall mit dem Leuchter schon wieder vergessen gehabt. Doch jetzt bekam er eine viel tiefere Bedeutung. Ebenso wie Vincents Rolle dabei. Denn auch im Stall hatte sich Vincent vorhin herumgetrieben.
Er starrte die Enden des Gurts an, als könnte er ihnen eine Antwort entlocken. Dann warf er sie mit einer unwilligen Geste beiseite.
Ohne auf seine schmerzenden Knochen zu achten, stand er auf und ging mit steifen Schritten zu Fuego. Sich am Hals und der Mähne des Pferdes festzuhalten, um sich hinaufzuziehen, kostete ihn größere Anstrengung, als er gedacht hatte. Aber darauf zu warten, bis jemand vorbeikam, konnte Stunden dauern.
Während er Fuego im Schritt gehen ließ, überlegte er, was er unternehmen sollte. Offensichtlich trachtete ihm jemand nach dem Leben. Und seine Beobachtungen machten Vincent zum Hauptverdächtigen. Der erste, impulsive Gedanke verleitete ihn dazu, Vincent zur Rede zu stellen und ihm dann die Tür zu weisen. Gleichgültig, was immer er zu den Verdächtigungen sagte. Henri nahm nicht an, dass Vincent einfach zugeben würde, mit den Vorfällen zu tun zu haben. Oder gestehen, warum er es getan hatte.
Aber genau das wollte Henri wissen. Welchen Grund mochte es geben, der Vincent oder jemand anders dazu bringen konnte, ihm nach dem Leben zu trachten? Er war sich keiner Schuld bewusst, er hatte niemanden herausgefordert, verletzt oder jemandem sonst wie Schaden zugefügt. Sticheleien wegen Geld und Macht, das war nichts Neues, doch diese Intrigen liefen anders ab. Ihr Ziel war es, seinem Ruf zu schaden, nicht ihn zu töten. Und er war sich ganz sicher, Vincent noch nie zuvor begegnet zu sein. Was natürlich keine Bedeutung hatte, wenn Vincent ein von einem Feind gedungener Mörder war, der beabsichtigte, sich sein Vertrauen zu erschleichen, um im richtigen Moment zuschlagen zu können.
Also verwarf er den Gedanken, Vincent aufzusuchen, sobald er in Belletoile eintraf und auf die Vorkommnisse anzusprechen. Er wollte Hintergründe, und die würde er nur über Umwege bekommen. Vielleicht hatte Bernard etwas herausgefunden, das Licht in die Angelegenheit bringen konnte. Und wenn nicht, dann würde er Vincent im Auge behalten, um ihn gegebenenfalls auf frischer Tat zu ertappen.
Die Stallknechte halfen Henri beim Absteigen und nahmen seinen Befehl entgegen, sich auf die Suche nach dem Sattel zu machen und ihn in sein Arbeitszimmer zu bringen.
Er humpelte zu seinem Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Etienne half ihm beim Entkleiden und fragte, ob er ihm ein Bad zubereiten lassen sollte. Henri winkte ab. »Ein wenig Ruhe wird genügen.«
»Sehr wohl, Euer Gnaden.« Etienne sammelte die Kleidungsstücke ein und verstaute sie im Ankleidezimmer. Ehe er den Raum endgültig verließ, hielt ihn die Stimme des Herzogs noch einmal zurück.
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