Die Nächte der Aphrodite
»Schick mir Bernard.«
Wenig später trat der Erste Kammerdiener ein und blieb vor dem Bett stehen, um sich zu verbeugen. »Euer Gnaden beliebten mich zu sehen?«
»Ja. Es geht um den Auftrag, den ich dir vor kurzem gegeben habe. Hast du schon etwas über Vincent herausbekommen?«
»Bedauerlicherweise nicht, Euer Gnaden. Die Zeit ist viel zu knapp.«
Henri rieb sich das Kinn. »Ist dir auf Belletoile irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
»In welcher Hinsicht?«, fragte Bernard zurück.
»Das kann ich nicht sagen.« Henri schloss die Augen und lehnte den Kopf an das Betthaupt. Er wollte nicht mehr preisgeben als nötig. »Du bist einer derjenigen, die am längsten auf Belletoile sind. Dir würde auffallen, wenn sich hier jemand herumtreibt, wenn hier Dinge vor sich gehen, die nicht in Ordnung sind.«
»Das ist richtig, Euer Gnaden.« Bernards Stimme blieb ebenso ausdruckslos wie seine Miene. Das konnte Henri feststellen, als er die Augen wieder öffnete. Wenn der Mann Gefühle hatte, dann verbarg er sie sehr gut. Nicht einmal bei der Mitteilung des Freitods seiner Tochter hatte er eine Reaktion gezeigt, sondern war so steif wie eh und je geblieben. Die Tatsache, dass Henri ein anständiges Begräbnis für das Mädchen organisiert hatte, entlockte ihm nicht mehr als ein knappes Danke, Euer Gnaden.
Resignierend brachte Henri die Sache zum Abschluss. »Gut, dann bitte ich dich, weiter Augen und Ohren offen zu halten und mich über Auffälligkeiten zu informieren.«
»Sehr wohl, Euer Gnaden.« Bernards Verbeugung war tadellos wie immer.
Henri blickte auf den breiten Rücken in der dunklen Livree und fragte sich, wie oft Bernard in seinem Leben als Kammerdiener diese Floskel wohl gebraucht haben mochte.
23
Troy verfolgte mit angespannten Zügen, wie Elaine in ihrem Kostüm als Zeremonienmeisterin den Kaminsalon betrat. Ihr folgten drei Frauen und drei Männer, die in bodenlange, togaähnliche Gewänder gehüllt waren. Sie stellten sich neben dem Billardtisch auf, der in der Mitte des Raumes stand, und ließen die Togen zu Boden gleiten.
Die restlichen Gäste hatten es sich auf den Sofas und Chaiselongues gemütlich gemacht. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf Elaine, die zu dem Wandschränkchen ging, in dem die Billardstöcke aufbewahrt wurden. Sie verteilte die Stöcke mit den schaufelförmigen Enden unter den jetzt nackten Akteuren. Dann legte sie die Kugeln auf den Tisch.
»Jeder gegen jeden. Den Sieger oder die Siegerin erwartet ein besonderer Preis.« Mit einem Blick in die Runde fuhr sie fort. »Die Zuschauer mögen nach Belieben näher treten, das Berühren der Spieler ist verboten. Wer dem zuwiderhandelt, verlässt den Salon.«
Sie schlenderte zum Kamin und blieb dort stehen, um den Raum zu überblicken. Das Bild, das sich ihr und den Zuschauern bot, war gleichermaßen kokett wie einladend. Die Frauen hatten ihr Haar kunstvoll hochgesteckt und geschmückt, als trügen sie g rande toilette, die Gesichter waren sorgfältig geschminkt. Ihre Seidenstrümpfe waren unter dem Knie mit bunten Bändern gebunden, und ihre Füße steckten in Pantoletten, an deren geschwungenen Absätzen zahlreiche Edelsteine funkelten. Schönheitspflästerchen lenkten den Blick auf wohlgerundete Hinterteile und keck zur Schau gestellte Brüste.
Zwei der Männer trugen polierte Schnallenschuhe, einer glänzende schwarze Stiefel. Ihre Erregung war offensichtlich, und sie paradierten damit um den Tisch, um sich allen zu zeigen. Im Gegensatz zu den Zuschauern durften sich die Spieler berühren und davon machten sie reichlich Gebrauch, wenn sie nicht selbst am Zug waren.
Sobald sich eine der Frauen über den Tisch beugte und damit ihr intimstes Geheimnis mit allen im Raum teilte, ging ein kollektives Aufseufzen durch das Publikum. Natürlich ließen sie sich Zeit, den Stoß auszuführen, streckten ein Bein nach hinten oder gingen in die Hocke, um sich besseren Überblick zu verschaffen und die erotische Stimmung anzuheizen.
Die Erregung im Raum stieg. Nur wenige Zuschauer hatten das Angebot, sich an den Tisch zu stellen, angenommen. Die meisten saßen entspannt auf den Stühlen und Bänken und verfolgten die Darbietung, während sie an sich selbst oder ihren Sitznachbarn herumspielten.
Die Marquise de Molignard hatte ihr Queue längst beiseite gelegt und widmete sich ihrem Mitspieler, Sébastien de Villefort. Als die Reihe an ihn fiel, und er an den Tisch trat, rutschte sie ihm auf den Knien nach, um weiter an
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