Die Nächte der Aphrodite
der Herzog doch um. Die Bedächtigkeit der Bewegung täuschte die Umstehenden. Denn als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sahen, wichen sie wie ein Mann vor ihm zurück. »Amélie wird die Sakramente erhalten, und sie wird an der Seite ihrer Mutter begraben werden. Dafür werde ich sorgen. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Oder was der gottverdammte Pfarrer tun wird.«
1
Elaine schloss die Augen, als sich Armand über sie beugte. Sein Mund berührte ihre Lippen zuerst sacht, dann drängte er seine Zunge dazwischen und forderte sie auf, den Kuss zu erwidern. Nur zu gern erfüllte Elaine diese Forderung. Ihre Arme flochten sich um seinen Nacken, und sie stöhnte unwillkürlich auf, als er sie tiefer ins weiche Heu drückte. Trotz des Verlangens, das sich in ihrem Körper ausbreitete, und der undurchdringlichen Dunkelheit in der Scheune achtete sie darauf, dass ihr dichtes blondes Haar die rechte Hälfte ihres Gesichts bedeckte und dass sie ihren Kopf leicht zur Seite drehte. Weg von Armand.
Diese Bewegung war ihr in Fleisch und Blut übergegangen, seit sie zum ersten Mal in das entsetzte Gesicht der Nachbarin geblickt hatte. Damals war sie vier Jahre alt gewesen und durfte nach dem tragischen Vorfall erstmalig das Haus verlassen. Durch eine unvorsichtige Bewegung war ein Topf mit kochendem Wasser auf dem Herd umgekippt und hatte Elaines rechte Gesichtshälfte und die Schulter verbrannt. Sie selbst konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wie es passiert war, und auch die nachfolgenden Wochen verschwanden in einem trüben Nebel. Das Einzige, was sie in den dunklen Winkeln ihres Gehirns fand, wenn sie daran dachte, war Schmerz und wieder Schmerz. Später erzählte ihr die Mutter, dass ihr der Pfarrer bereits das Sterbesakrament gespendet hatte, denn niemand glaubte daran, dass sie überleben würde.
Sie starb nicht, doch der Preis dafür war so hoch, dass Elaine immer häufiger wünschte, in einem kalten Grab zu liegen, statt tagtäglich in den Gesichtern der Menschen Erschrecken, Ekel, Angst und Abscheu lesen zu müssen. Auch in ihrer eigenen Familie fand sie keinen Trost. Ihre Mutter Claire gebar ein Kind nach dem anderen, einige davon blieben sogar am Leben. Aber sie hatte keine Zeit, ihrer ältesten Tochter die Zuwendung zu geben, die Elaine ausreichend Selbstbewusstsein vermittelt hätte, um ihr Schicksal akzeptieren zu können. Ihr Vater nahm keines der Mädchen wirklich zur Kenntnis - bis zu ihrer Vermählung waren sie nichts als unnütze Esser -, und wenn er sie einmal ansah, dann spürte sie die Geringschätzigkeit in diesem Blick, denn es war klar, dass kein Mann um sie anhalten würde. So verkroch sie sich im Haus, lernte Kochen und Nähen und kümmerte sich um die neugeborenen Geschwister. Im Sommer arbeitete sie mit den anderen auf den Feldern, aber sie ging weder sonntags zur Kirche noch besuchte sie die hin und wieder stattfindenden Dorffeste. Ihre Zukunft lag nüchtern vor ihr - sie würde im Haus ihrer Eltern bleiben und für sie sorgen, bis sie starben. Dann würde sie auf die Mildtätigkeit ihres Bruders Antoine und dessen Frau angewiesen sein, um weiterhin ein Dach über dem Kopf zu haben. Bis zu ihrem eigenen Tod.
Dieser Weg schien so unverrückbar vorgegeben zu sein, dass Elaine vor lauter Verzweiflung heiße Tränen weinte, wenn sie nachts in ihrem harten Bett lag.
Deshalb war es ihr wie ein Wunder erschienen, als Armand anfing, sich während der Arbeit auf den Feldern mit ihr zu unterhalten. Misstrauisch war sie ihm ausgewichen, aber er ließ sich nicht abweisen, sondern folgte ihr unbekümmert und setzte sich sogar während der Brotzeit zu ihr. Er behandelte sie, wie er alle anderen behandelte, scherzte ungezwungen mit ihr, und das alleine reichte, um sie süchtig nach seiner Gegenwart zu machen.
Armand Lebrun kam nicht aus Trou-sur-Laynne, nicht einmal aus der Auvergne. Er war Tagelöhner und zog von Ort zu Ort. Elaine hörte ihm gerne zu, wenn er berichtete, wo er schon überall gewesen war. Er konnte mit Worten wunderschöne Bilder malen, die ihre eigene Fantasie mit Leben ausschmückten. Als er sie das erste Mal geküsst hatte, heimlich hinter dem Scheunentor, war sie vor lauter Glück beinahe zersprungen. Die Tatsache, dass er ihr fast zwanzig Jahre voraushatte, schob sie beiseite, denn sein Körper war der eines Mannes, der immer an der frischen Luft gearbeitet hatte. Muskulös und zäh, dunkel gebräunte Haut über straffem Fleisch. Wenn seine starken Arme sie
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