Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben
wie du, wenn du auch nur für eine Sekunde glaubst, wir könnten noch Freundinnen sein … nach allem, was du getan hast. «
» Du gemeine Psychopathin! Jessie hat als Einzige zu dir gehalten, als du so nah am Tod vorbeigeschrammt bist! « , rief Amy und stieß Sarah an der Schulter.
Sarahs Tasche schwang nach hinten und Bleistifte, Kulis und ein Buch fielen zu Boden. » Schlampe! « , kreischte sie. » Wage es nicht noch mal, mich mit deinen dreckigen Pfoten anzutatschen, du Abschaum! «
Amy stürmte los, aber ich packte sie, hielt sie mit den Armen fest und stemmte die Füße in den Boden, während sie versuchte, mich abzuschütteln.
» Sarah, überleg noch mal « , flehte ich. » Weißt du noch, in Miss Wyatts Unterricht – das Zitat, das du gewählt hast: ›Das Leben ist eine Chance, die Seele zu entwickeln.‹ Ich glaube immer noch daran. Vergiss das nicht. Es tut mir leid, dass wir dich verletzt haben. Wir haben das nicht gewollt. Weißt du, wer nach dem Unfall deine Freunde waren? Wer hat da für dich gesorgt?«
Plötzlich standen Macie und Jennie neben Sarah und grinsten selbstgefällig. Als ich auf ihre Treulosigkeit zu sprechen kam, wirkten sie allerdings verunsichert.
Bis Sarah lachte.
» Glaubst du, dass ich von denen erwarte, dass sie mich im Krankenhaus mit Wackelpudding füttern? Sie sind eine andere Art von Freundinnen – mächtig und schön. Sind wir Zicken? Meinetwegen! Aber etwas anderes habe ich von ihnen nie erwartet. Sie haben mich nie enttäuscht. Aber du … « Ich war nahe daran, in Tränen auszubrechen. » Deinetwegen habe ich mehr von den Menschen erwartet. Du hast mich glauben lassen, dass es so etwas wie Vertrauen gibt. Du hast gelogen, Jessica Gillmansen! Du hast in allem gelogen! «
Amy wehrte sich nicht mehr gegen mich, sondern richtete sich auf und bildete vor mir einen Schutzschild gegen den geifernden Teufel mit dem Engelsgesicht.
Tränen zerstörten Sarahs Mascara. » Verdammt! « Sie drehte sich weg und sammelte den Inhalt ihrer Tasche wieder ein, während Jenny belustigt zusah. Macie warf mir einen flehenden Blick zu.
Ich zuckte zusammen, wollte zu Sarah, wollte ihr helfen, aber Amy wechselte wieder ihre Position. Nun hielt sie mich mit weit ausgestreckten Armen zurück und schüttelte in stummer Warnung den Kopf.
Einen Augenblick später war Sarah wieder auf den Beinen und zwängte das Buch in die Tasche.
Derek tauchte mit Marvin im Schlepptau hinter ihr auf. Er beobachtete die Szene aus Augen, in denen eine tiefe Finsternis das Blau, das dort sonst wie geschliffene Saphire funkelte, auszulöschen drohte. Pietr neben mir kochte vor Wut. Die Luft zwischen uns sirrte, und ich spürte das tiefe Knurren, das in ihm anschwoll. Ich ergriff seine Hand, die Luft beruhigte sich und die elektrische Spannung zwischen uns verebbte wieder.
» Du bist nicht meine Freundin, Jessica Gillmansen. Und glaub bloß nicht, dass du’s je gewesen bist « , erklärte Sarah und schluchzend stürzte sie davon – direkt in Dereks Arme. Er hielt sie fest, flüsterte und strich ihr übers blonde Haar. Er hob den Blick und sah mir in die Augen.
Meine Wangen glühten, aber mein Blick fiel auf den Buchrücken, der aus Sarahs Tasche ragte: Der Fürst von Machiavelli.
Als sie davonzogen, Sarah und Derek voran, Macie und Marvin dahinter und Jenny irgendwo dazwischen, erkannte ich, dass die Rangkämpfe in einer Highschool mindestens ebenso rücksichtslos und brutal ausgetragen wurden wie in einem Wolfsrudel.
Vom Mittagsbüfett in der Mensa holte ich mir nur eine Milch, ein Pausenbrot hatte ich von zu Hause eingepackt. Ich bemerkte, dass Jenny Cat ansprach, und fragte mich, ob sie auch dort um Unterstützung gegen Sarah warb. Cat hatte die Sache aber offenbar im Griff. Ich sah mich kurz um und hielt auf unseren Tisch zu.
Max war am anderen Ende des Raums in einer Unterhaltung mit Amy vertieft (so tief es bei ihm eben ging). Eigentlich wollte ich sie ja von ihm fernhalten, aber sie vergötterte ihn. Wie hätte ich mich ihnen in den Weg stellen sollen? Die Zeit war knapp, wie Pietr mir ständig in Erinnerung rief. Vielleicht mussten wir alle das Leben gefährlich leben.
Und mutig lieben.
Pietr wartete in der Schlange und sah auf die Uhr. Als er meinen Duft witterte, grinste er und rückte geduldig mit der Schlange vorwärts.
Ich setzte mich und kippte meine Tüte aus. Ein Apfel. Ein belegtes Brot. Herrlich unscheinbar – normal. Das übliche Summen in der Mensa schwirrte in meinen Ohren, als
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