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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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hübsches Mädchen für die Nacht.«
    »Er hat gesagt, es interessiert uns nicht«, sagte Timothy.
    Den ganzen darauffolgenden Vormittag warteten sie gespannt auf die Ankündigung ihrer bevorstehenden Entlassung. Mittags kam ein Gefreiter mit einem Tablett voller Essen und stellte es auf den gemeinschaftlichen Tisch. Es war ein langweiliger, humorloser Kerl, den Beatrice mit Vorliebe provozierte. »Hör mal, du Schlafmütze«, sagte sie. »Besorg uns zwei Flaschen Wein. Wir fahren heute nach Hause.«
    »Da muss ich erst nachfragen, Miss.«
    »Mach das, mein Kleiner. Und schau dabei gleich nach, ob dir vielleicht das Gehirn aus den Ohren gelaufen ist.«
     
    Generalmajor Stuart saß in seinem Büro in Aldershot und nahm das Telefon ab. Der Anruf kam aus London. Stuarts hartes, stets leicht verächtlich wirkendes Gesicht zeigte keinerlei Gefühlsregung. Das Gespräch war kurz und sachlich. Eine Erläuterung oder Klarstellung war nicht nötig. Er verabschiedete sich mit einem »Ja, Sir« und schob seinen Stuhl vom Schreibtisch weg, um seine Befehle auszuführen.
     
    Das Mittagessen war alles andere als schmackhaft, aber sie waren hungrig und aufgeregt. Bei altbackenen Brötchen und klebrigen Spaghetti berichtete ihnen Atwood, der wahres Erzähltalent besaß, von jeder Einzelheit seines Aufenthalts in Churchills berühmtem unterirdischen Bunker, an die er sich erinnern konnte. Während sie noch beim Essen waren, kehrte der Gefreite mit zwei entkorkten Weinflaschen zurück.
    »Man glaubt es nicht!«, rief Beatrice. »Gefreiter Schlafmütze hat sich für uns eingesetzt!« Der Mann stellte die Flaschen auf den Tisch und ging wortlos hinaus.
    Atwood übernahm die Rolle des Gastgebers und schenkte den Wein ein. »Ich möchte einen Toast ausbringen«, sagte er und wurde ernst. »Leider werden wir nie öffentlich darüber sprechen können, was wir in Vectis gefunden haben, aber dieses Erlebnis hat zwischen uns ein unverbrüchliches Band geschmiedet. Auf unseren alten Freund Reggie Saunders und auf unsere Freiheit!«
    Sie stießen an und tranken einen großen Schluck.
    Beatrice verzog das Gesicht. »Der stammt aber nicht aus der Offiziersmesse, schätze ich.«
    Bei Dennis setzten die Krämpfe zuerst ein, vielleicht weil er der Kleinste und Schmächtigste war. Dann krümmten sich Beatrice und Atwood. Binnen Sekunden waren alle von den Stühlen gerutscht und lagen zuckend und röchelnd am Boden, die blutigen Zungen zwischen verbissenen Zähnen, mit geballten Fäusten und verdrehten Augen.
    Generalmajor Stuart ging erst hinein, als alles vorbei war, und warf einen flüchtigen Blick auf die traurige Szene. Er hatte den Anblick von Toten wahrlich satt, aber es gab keinen gehorsameren Soldaten in Seiner Majestät Army.
    Er seufzte. Sie hatten eine schwere Schlepperei vor sich, und es würde wohl ein ziemlich langer Tag werden.
     
    Der Generalmajor führte einen kleinen Trupp vertrauenswürdiger Männer zur Isle of Wight. Atwoods Ausgrabungsstätte war abgesperrt und mit einem großen Zelt vor unerwünschten Blicken geschützt.
    Abt Lawlor hatte man durch einen Vertreter des Militärs bestellen lassen, dass Atwoods Team auf einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gestoßen war. In den zwölf Tagen, die seither vergangen waren, hatten Lastkähne der Royal Navy einen steten Strom von Militärlastwagen auf die Insel befördert, und ein schweres Fahrzeug nach dem anderen war zu dem Zelt gerumpelt. Einfache Soldaten, die nicht die geringste Ahnung von der Bedeutung ihrer Aufgabe hatten, schufteten rund um die Uhr und schleppten Holzkisten nach oben.
    Stuart betrat die Bibliotheksgewölbe. Sein Schritt in den schweren Uniformstiefeln hallte von den Wänden wider. Die Säle waren ausgeräumt, nur noch die leeren Bücherregale ragten auf, Reihe um Reihe. Er trat über das Skelett aus elisabethanischen Zeiten hinweg, ohne es eines Blickes zu würdigen. Ein anderer Mann hätte vielleicht versucht, sich vorzustellen, was hier vorgefallen war, verstehen wollen, wie so etwas möglich war, sich bemüht, die ungeheure existenzielle Tragweite des Ganzen zu erfassen. Der Generalmajor jedoch war kein solcher Mann, und deshalb war er vielleicht ideal für diese Aufgabe geeignet. Stuart wollte einfach nur wieder nach London zurück, um sich in seinem Club einen Scotch und ein kurz gebratenes Beefsteak zu gönnen.
    Sobald er seinen Rundgang beendet hatte, würde er dem Abt einen Besuch abstatten und sich für den schrecklichen Fehler entschuldigen,

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