Die Namensvetterin: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
auch erst hatte gewöhnen müssen.
Dornhelm hingegen stand wie ein Fels in der Brandung da. Ausdruckslos verfolgte er jeden Handgriff von Josef. Dann kam der Augenblick der Augenblicke – Josef zog das Tuch weg. Aber selbst in diesem Moment blieb Dornhelm ausdruckslos – bis auf einen kurzen Zucker.
»Sie ist ja verstümmelt! Oh mein Gott, was hat man mit … ihren … Brüsten gemacht? Sagen Sie mir alles.«
»Also, mein Guter, der Mörder« – Phillip ließ das Wort wie ein Damoklesschwert im Raum stehen und bedachte Dornhelm mit einem viel sagenden Blick – »hat die Stein gefesselt, ihr einen Gummischwanz in den Mund gesteckt, und nachdem sie erstickt ist, hat er ihr die Brüste aufgeschlitzt und die Klitoris abgeschnippelt.«
Josef presste die Zähne aufeinander und wandte sich ab. Maria sah Phillip an, zog die Augenbrauen hoch und räusperte sich vernehmlich. Doch Phillip zuckte nur mit den Schultern.
»Ja, so war das. Ein kleines Kunstwerk.«
»Der Mensch, der das getan hat, muss Babe unglaublich gehasst haben.«
Dornhelm stand ruhig da und betrachtete die Leiche. Er wirkte nicht betroffen – oder doch, aber eher wie ein Mensch, dem das Elend der Welt auf der Brust lastete. Maria verstand überhaupt nichts mehr. Bei der Nachricht vom Tod seiner Geliebten war Dornhelm zusammengebrochen. Nun stand er vor ihrer Leiche und zeigte null Reaktion.
»Ich frage mich immer, wie Menschen zu so etwas fähig sein können. Es erscheint mir logisch, dass Menschen Hass empfinden müssen. Aber dieser überbordende Hass, der sich ja auch bei Folterungen zeigt, den konnte ich mir noch nicht erklären. Übrigens auch viele andere Philosophen nicht. Natürlich ist, den Gegner unschädlich zu machen, um das eigene Überleben zu sichern. Aber warum soll man ihn zuvor quälen. Wissen Sie übrigens, dass es im Tierreich dieses Verhalten gar nicht gibt?«
Maria war fasziniert. Jetzt begann dieser wunderliche Mensch auch noch zu philosophieren! Das war nur dem Schock zuzuschreiben, anders konnte sie sich so eine ungewöhnliche Reaktion nicht erklären. Automatisch antwortete sie.
»Doch. Die Katzen, die tun so was. Mit den Mäusen.«
»Richtig. Eigenartig, nicht? Ihre großen Artverwandten, die Raubkatzen, würden so etwas nicht tun. Oder haben sie schon einmal einen Löwen mit einer Gazelle spielen gesehen? Ein eigenartiges Phänomen.«
Nun mischte sich auch Josef wieder ins Gespräch.
»Ja, nur Katzen haben so einen ähnlichen Machtanspruch wie Menschen. Denn ich denke, es ist ein Gefühl der Macht, andere Lebewesen zu foltern. Das hat nichts mehr mit dem Urinstinkt des Tötens zu tun, sei es aus Hunger oder aus Überlebensdrang.«
»Macht oder Hass. Oder ist das dasselbe? Hat es denselben Ursprung? Denn wenn man von Kierkegaard ausgeht, der sagt, ›Hass ist gescheiterte Liebe‹, dann könnte es zusammenhängen. Denn hat übermäßiger Machtanspruch nicht mit zu geringer und darum kompensierter Eigenliebe zu tun?«
»Das könnte auf jeden Fall ein Gedankenansatz sein, den ich übrigens auch verfolge. Wie auch Michel del Castillo. Kennst du seinen Roman ›Elegie der Nacht‹? Nein? Oh, er hat die Nazigräuel als Kind miterlebt. Und er meint: ›Überlasse das Hassen denen, die zu schwach sind, um lieben zu können.‹«
»Womit wir bei der Frage sind, warum der Mensch das einzige Lebewesen ist, das Liebe empfinden kann.«
»Und bei meinem Einwand, dass auch Katzen einen Machtanspruch haben. Ich denke, dass Tiere, zivilisierte Tiere, auch lieben können.«
»Also ich habe eher das Gefühl, dass ich für Jack nur der Dosenöffner bin.«
Josef lächelte Maria an.
»Ich denke, dass in der Art und Weise der Gunstbezeugung Tiere den Männern ähneln … oder umgekehrt. Wenn er um deine Beine streicht, nur wenn du die Dose öffnest, dann ist das deshalb, weil er die Liebe, die er für dich empfindet, nur anhand eindeutiger Dinge festmachen kann. Er meint sozusagen, ich danke dir, dass du dich um mich kümmerst.«
»Ja, so ist es nun mal, Chef, Liebe geht durch den Magen.«
In plötzlicher Einhelligkeit grinsten die drei Männer einander und dann Maria an.
»Ihr braucht jetzt aber nicht glauben, dass ich euch zum Essen einlade.«
Wie auf Kommando sahen alle wieder auf die Leiche. Maria war fassungslos. Das hatte sie noch nie erlebt. Ein Angehöriger sah zum ersten Mal die Leiche – und philosophierte! Die ganze Situation hatte eher den Touch eines Party-Smalltalks als den einer polizeilichen
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