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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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ließe sich übers Ohr hauen! Keiner!
     
    In seiner maßlos überteuerten Hütte auf einem Hügel hoch über Guldenburg entkorkte Quintzi Cohatl die nächste Weinflasche und schenkte sich einen Krug voll. Er grinste schief und prostete dem Geldsack zu, in dem annähernd zweiunddreißigtausend Silbergroschen steckten. Er konnte kaum fassen, wie weit er es gebracht hatte. Vor zwei Tagen hatte er gerade einmal einen Groschen besessen. Vor zwei Tagen … Und in zwei Tagen? Unmöglich, das zu sagen. Dazu müßte man schon Hellseher …
    »Idiot!« Es traf ihn wie ein Stromschlag. »Du kannst doch in die Zukunft sehen! Die Zeiten, als du noch bluffen mußtest, sind längst vorbei!« Grinsend zog er seine Neuerwerbung, die Kristallkugel, aus der Tasche und fuhrwerkte an den Tasten und Knöpfen herum. Sekunden später leuchtete in der Kugel ein Bild auf.
    »… lich willkommen zur Sportvorausschau im Fabelkanal mit einem Bericht über die fünfunddreißigsten Königreichsmeisterschaften im Kaninchenzüchten! Sehen Sie nun die schönsten Häschen …«
    Quintzi murrte und drehte an einem anderen Knopf. Das Bild flackerte und flirrte, es knackte und knisterte, dann war ein anderes Bild zu sehen.
    »…Wie aber kann ich dir, mein Liebling, zeigen, daß meine Liebe tief empfunden ist und immer währt? Ist’s dein Wunsch, daß ich zum Duell ihn fordre …?«
    »Bah! Serienkitsch!« knurrte Quintzi, drehte wieder an dem Knopf und seufzte erleichtert, als Das Thaumschiff im Schneesturm verschwand. Die Kugel knisterte und blitzte, und dann hatte er gefunden, was er gesucht hatte: Ihr persönliches Futuroskop – das interaktive Programm für Hellseher und Futurfreunde.
    Aufgeregt wählte er die Menüseite mit dem Personenregister und rieb sich vergnügt die Hände, als in der Kristallkugel lange Namenslisten aufschienen. Er steuerte den Buchstaben ›C‹ an, suchte die Einträge durch und … Da! Da – ziemlich unscheinbar unter den vielen tausend anderen – stand er: der Name COHATL, QUINTZI. Ein kurzes Gezappel mit dem Cursor, und schon hatte er seinen Namen markiert und angeklickt. Der Schirm leuchte kurz auf, wurde dann schwarz, es zischte, der Schirm leuchtete wieder auf und zeigte ein anderes, beklemmend bekanntes Bild. Quintzi blickte auf einen Mann mit schütterem Haar, der etwa fünfundsechzig Jahre alt war und auf das kristalline Bild eines Mannes mit schütterem Haar blickte, der auf ein Bild blickte, das einen Mann mit schütterem Haar …
    Quintzi brummelte ärgerlich, drehte an der Zeiteinstellung und kratzte sich verwirrt am Kopf, als er sah, wie eine unendliche Reihe von Männern mit schütterem Haar ebenfalls an der Zeiteinstellung drehten und sich verwirrt am Kopf kratzten. Verstört drehte er sich um und blickte über die Schulter – eine ganze Kolonne von Quintzis machte es genauso. Knurrend drehte er die Zeiteinstellung wieder zurück – der kristalline Quintzi kratzte sich am Kopf, haargenau so, wie er sich vor ein paar Sekunden am Kopf gekratzt hatte. Murrend drehte er den Regler wieder in die entgegengesetzte Richtung, in Richtung Zukunft. Die Bildwiedergabe lief jetzt mit doppelter Geschwindigkeit, holte immer weiter auf, hatte jetzt beinahe den augenblicklichen Zeitpunkt erreicht und … hielt an.
    Quintzi brüllte etwas nicht Druckreifes. Die endlose Reihe der anderen Quintzis brüllte ebenfalls. Auch etwas, das nicht druckreif war.
    »He!« schrie er und bohrte im linken Ohr. »Was ist los mit dem Ding? Ist es etwa kaputt?« wollte er von den Nanos wissen. Seine Stimme klang zornig und vorwurfsvoll.
    »Nein, nein. Es funktioniert tadellos«, hörte er es klopfen.
    »Tadellos? Blödsinn! Der Zeitregler ist hin. Ich kann nicht sehen, was mir bevorsteht!«
    »Genau«, antworteten die Nanos. Ganz so, als verstünde sich das von selbst.
    »Was soll das heißen – genau?«
    »Du kannst deine persönliche Zukunft nicht voraussehen. Das ist nicht erlaubt.«
    »Was? Warum darf ich das nicht?«
    »Viel zu gefährlich«, klopften die Nanowichte. »Vorhersehen zu können, welche Überraschungen das Leben für einen bereithält, genau das ist es, was Seher und Propheten in unheilbare Depression stürzt. Handelt es sich um schlechte Aussichten, dann sind sie am Boden zerstört und stürzen sich von der nächstbesten Klippe. Handelt es sich aber um gute Aussichten – also etwa sagenhafter Reichtum, unvorstellbarer Ruhm, eine Schar ergebener Maiden oder dergleichen –, dann ist das eigentlich noch schlimmer.

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