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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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wieder hoch und lief in die Diele. Nele hielt den Telefonhörer so weit weg von sich, dass er zu schweben schien. Mit dem Rücken lehnte sie nackt an der Wand und wirkte fürchterlich verwundbar.
    »Batzko«, sagte sie tonlos, ohne ihn anzuschauen.
    Er nahm den Hörer, während eine maßlose Wut auf seinen Kollegen seine Kehle zuschnürte. Es konnte doch noch nicht so spät sein – verdammter Batzko, verdammtes Fitness-Center.
    »Ja?« Mehr brachte er nicht heraus.
    »Gerald? Entschuldige bitte, wenn ich dich störe. Ich habe deinen Namen im Telefonbuch gefunden. Kann ich dich heute Abend sprechen? Es ist wirklich wichtig. Kannst du zu mir kommen?«
    Franziska. Mit einem Mal begriff Gerald die Situation. Er hörte sich atmen und nahm am Rande seines Bewusstseins wahr, wie Nele hinter seinem Rücken ins Badezimmer zurückging und den Schlüssel im Schloss umdrehte.
    Dann machte sich das Gefühl völliger Kraftlosigkeit in ihm breit. Schlimmer hätte es nicht kommen können – Nele würde auch seine »dienstlichen Gründe« für die Abwesenheiten an den Abenden zuvor mit dieser Frauenstimme in Verbindung bringen. Seit Monaten waren sie sich nicht mehr so nahe gewesen; sie hätten endlich wieder miteinander geschlafen, dann geredet, Stunde um Stunde geredet, erneut miteinander geschlafen, die Missverständnisse und Verletzungen der letzten Monate vergeben und vergessen. Doch der Moment, der ihre Krise hätte beenden können, war dahin, und die Situation hatte nun etwas Endgültiges.
    »Gerald? Hörst du mich? Ist etwas?«
    Erst jetzt realisierte er, dass er den Telefonhörer noch in der Hand hielt.
    »Nein, nein … Es ist alles okay«, sagte er, »dein Anruf kam nur etwas unvorbereitet. Wenn es wirklich wichtig ist, kann ich auf einen Sprung vorbeikommen.«
    »Bist du sicher? Du hörst dich so seltsam an. Wenn es ungelegen ist …«
    »Nein. Ich fahre gleich los.«
    Er legte auf. Was konnte er tun? Gegen die Badezimmertür hämmern und Severin wecken? Nele hatte sich den perfekten Rückzugsort ausgesucht. Gerald legte das Ohr an die Tür, konnte aber nichts hören. Wenn sie sich gestritten hatten, früher als kinderloses Paar, war Nele ins Bad geflüchtet, hatte den Schlüssel umgedreht, das Wasser einlaufen lassen, zwei Stunden lang gebadet und dabei Musik gehört. Nun war es totenstill, kein plätscherndes Wasser, keine Musik.
    Gerald zog seine Jacke an und schloss die Wohnungstür leise hinter sich. Die Sporttasche im Flur ließ er stehen; sie hatte sich zu früh gefreut.
    Während der Fahrt bekam er plötzlich großen Durst. Seine Lippen fühlten sich spröde an, die Kehle trocken. Das war sein Stress-Syndrom. Er überlegte, ob er an irgendeiner Kneipe anhalten und ein Bier trinken sollte. Oder mehr als nur eins. Sich betrinken und geschehen lassen, was geschehen sollte. Absurderweise hatte er immer noch eine mächtige Erektion, eine Sieben-Keuschheits-Monate-Erektion, und streng genommen konnte er nicht einmal entscheiden, ob sie der Frau galt, bei der er gerade gewesen war, oder jener, zu der er gerade fuhr.
    Er spannte seine Armmuskeln und setzte sich kerzengrade hin. Mühsam versuchte er, sich an seine Pflicht zu erinnern: Er war Kommissar Gerald van Loren, unterwegs in Sachen Alexander Faden, an dessen vermeintlichen Selbstmord er weniger denn je glaubte. Franziska hatte Alexander am besten gekannt, und bestimmt würde er gleich noch mehr über ihn erfahren, da war er sich sicher. Alles andere durfte nicht zählen. Und wenn er in ihrem Badezimmer seinen Steifen unter fließendes kaltes Wasser halten musste.
    Sie öffnete ihm die Tür und bewahrte, als er eintrat, einen Abstand, der signalisierte, dass ihr an keiner Umarmung, keinem Begrüßungskuss gelegen war. Sie war auch strenger angezogen; sie trug trotz der sommerlichen Temperaturen eine lange Hose und ein legeres Sweatshirt mit Rollkragen, was Gerald gerade wegen des schwülen Sommerwetters merkwürdig fand.
    »Magst du einen Whiskey?«
    »Whiskey? Ja, gern. Warum nicht?«
    Die Küchentür war verschlossen. Von der Katze war kein Mucks zu hören.
    Gerald setzte sich neben Franziska auf die Couch, in einem Abstand, der eigentlich keiner war. Sie reichte ihm sein Glas und nutzte diese Bewegung, um etwas von ihm wegzurücken. Er fühlte Wut in sich aufsteigen: Ihr Anruf hatte die Chance zu einer Versöhnung mit Nele zunichtegemacht, hatte ihn dazu gebracht, Batzko zu versetzen, und nun saß er hier und wurde auf Distanz gebracht, als wäre er ihr

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