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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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Therapeut, Vater-, Mutter- und Bruderersatz zugleich sein? Ist doch Bullshit. Neulich erzählte mir eine im Fitnesscenter von der Beziehungsarbeit, die sie und ihr Mann leisten, um ihre Ehe zu retten. Arbeit – da ist doch schon alles verloren, wenn ich dieses Wort in den Mund nehme. Arbeit ist neun bis fünf, ist Büro, ist hier und jetzt. Man sollte sich vielmehr darauf konzentrieren, dass es zwischen den Laken klappt, und den Rest laufen lassen. Glaub mir, es ginge uns allen besser. Nicht fragen, nicht streiten, keine Verbotsschilder aufstellen – genieße die Nacht und lass am Tag passieren, was immer passieren soll.«
    Er setzte sich wieder an den Schreibtisch. Das helle Sommerlicht ließ an diesem bislang heißesten Tag des Jahres einzelne Staubschichten auf den Aktenstößen erkennen. Gerald, der im Büro normalerweise nichts anderes als Kaffee zu sich nahm, hatte bereits einen halben Liter Wasser getrunken. Batzko trank aus der leuchtend grünen Metallflasche seines Mountainbikes irgendein isotonisches Sportgetränk.
    Er wirkte enttäuscht, dass Gerald nicht mit ihm philosophieren wollte, schließlich kam es nicht oft vor, dass er, Batzko, erstens einen Gedanken formulierte und, zweitens, Gerald daran teilhaben ließ. Missmutig öffnete er den Schnellhefter, der auf dem Stapel ganz oben lag.
    »Schlägerei in der Kneipe an der Mozartstraße am letzten Sonntagabend. Natürlich einer Frau wegen. Logo«, sagte er wie zu sich selbst. »Der Täter, oder sagen wir besser, der, der zuerst zugeschlagen hat, ist meine Kampfklasse. Im Krankenhaus dachte ich, ich hätte ihn schon mal irgendwo gesehen, beim Boxen oder im Fitnessclub, aber ich muss mich wohl getäuscht haben. Apropos Fitnessclub, du schuldest mir noch was, weil ich dich in der Morgenbesprechung neulich entschuldigt habe.«
    Gerald hatte seit Tagen darauf gewartet, dass Batzko ihm mit dem uneingelösten Versprechen auf den Geist gehen würde. Nun tat er so, als hätte er gar nicht zugehört. Es nutzte nichts.
    »Es wird dir gefallen, glaub mir. Du läufst ein wenig auf dem Band, du stemmst Gewichte, du setzt dich an die Bar. Du redest ein wenig. Du vögelst.«
    »Redest du von einem Fitnessclub oder einem Swingertreff?«
    Batzko grinste selbstzufrieden.
    »An der Bar sortierst du, was du willst, was geht und was nicht. Du musst natürlich den richtigen Club auswählen. Kieser kannst du vergessen, da gehen in der Mittagspause Manager und Bankangestellte hin, die ihren ersten Bandscheibenvorfall hinter sich haben. So sexy eingerichtet wie eine Bundeswehrkaserne. Da gibt es nicht einmal ein Bistro oder einen Getränkeautomaten. Die sind so puristisch, dagegen ist die Antarktis ein Blumenmeer.«
    »Können wir es nicht auf eine Kneipe reduzieren? Ohne Schwitzen vorher?«
    Batzko trommelte mit den Fingern auf der Akte und schob den Oberkörper nach vorne. »Du schuldest mir einen Gefallen, und du bist einen ganzen Abend in meiner Hand, so einfach ist das. Hast du Angst, dich zu blamieren? Oder Angst vor den Frauen? Nicht alle sind so prüde wie deine. Glaub mir, es ist total relaxt. Manche suchen nur ein wenig Abwechslung bei einem Flirt, andere so etwas wie eine Beziehung . (Er drehte den Kopf zur Seite, als müsste er sich übergeben.) Diese beiden Kategorien kommen für uns natürlich nicht in Frage. Aber da gibt es andere, die die geilen Codes aussenden: Der Mann ständig auf Montage oder hat selbst was nebenbei laufen. Oder er hat es seit Jahren nicht mehr auf die andere Seite des Ehebettes geschafft. Glaub mir, gerade das kommt häufiger vor, als man denkt. Du musst nur die Antennen ausfahren, und die Luft knistert vor Schwingungen. Und dir, Kollege, dir würden so einige Schwingungen guttun.«
    Gerald schaute aus dem Fenster. Eine Müdigkeitswelle spülte durch seinen Körper. Er war zweimal aufgewacht während der letzten Nacht, als Nele das Baby anlegte. Oft nahm er es nur im Unterbewusstsein wahr, manchmal wachte er kurz auf, um sofort wieder einzuschlafen, nachdem er über Severins Kopf gestreichelt und Neles volle Brüste betrachtet hatte. Nur in der vergangenen Nacht hatte er lange nicht wieder einschlafen können. Er hatte sich auf die andere Seite gedreht und an Franziska gedacht. An den Kuss, und wie nahe seine Hände an ihrem Körper gewesen waren, bevor sie sich von ihm gelöst hatte.
    Dann besser heute, dachte Gerald, wahrscheinlich hole ich mir einen mörderischen Muskelkater ab; den kann ich morgen auskurieren, Gruppentherapie ist erst

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