Die Narbe
übermorgen.
»Okay. Aber nur, wenn damit das Thema für den Rest des Tages beerdigt ist. Wann und wo?«
Batzko hob beide Daumen zu einer Bestätigungsgeste. Dann holte er eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche.
»Nicht dass du denkst, ich würde für das Anwerben eine Prämie kriegen. Der Laden ist wirklich gut. Treffen wir uns um sieben, spätestens halb acht. Es muss schließlich Zeit bleiben fürs Après-Ski.«
Die Karte vollführte eine Punktlandung auf Geralds Akte.
»Wenn du dich drückst«, sagte Batzko, jede einzelne Silbe artikulierend, den Oberkörper nach vorne geschoben, »trete ich dir in den Arsch, aber so richtig.«
Gerald erwähnte beim Abendessen die Verabredung mit Batzko. Severin saß in seiner Babywippe auf dem Tisch und warf in einer Endlosschleife einen Plastikring zwischen die Lebensmittel oder auf Geralds und Neles Teller. Er jauchzte mit jedem Treffer und schien sich besonders zu freuen, wenn der Bombenabwurf in der Butterschale oder der Wurstdose landete und der Ring in der Spüle gesäubert werden musste.
»An zwei Abenden hast du neuerdings etwas Dienstliches«, bemerkte Nele mit einem sarkastischen Unterton, während sie sich Severin zuwandte und den Ring auf seinen Bauch legte. »Heute Abend gehst du mit Batzko zum Workout, übermorgen bist du auf irgendeinem Geheimtreffen. Wie wär’s, wenn du ein Foto von dir an die Kühlschranktür heftest? Dann spielen wir Kleinfamilie, wie das früher mal war: Mutter, Kind und ein Foto vom Papa.«
Gerald biss sich auf die Lippen. Er war wütend und deprimiert zugleich, weil alles, was er tat oder sagte, unweigerlich schlechte Stimmung und eine Grundsatzdiskussion auslöste. Es ging schon längst nicht mehr um sie als Paar; es ging nur noch darum, wer von ihnen welche Rechte und welche Pflichten hatte.
Sie beendeten schweigend das Abendessen. Gerald kümmerte sich um den Abwasch, Nele ging mit dem Baby ins Badezimmer. Um halb sieben hörte er Severins Planschen aus der Badewanne. Gerald machte die Spülmaschine an und huschte an der offenen Badezimmertür vorbei ins Schlafzimmer. Ihm war eingefallen, dass er besser seine Sporttasche packte, bevor Nele ihren Sohn in den Schlaf singen würde. Er musste drei Schrankflügel öffnen, bis er sie endlich fand, begraben unter Winterpullovern und Socken. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie lange er nicht mehr Sport gemacht hatte. Er war nicht einmal im Schwimmbad gewesen, obwohl er sich diese Auszeit früher immer gegönnt hatte. Kein Klarinettenspiel mehr, kein Unterricht in der Musikschule, keine zwanzig Bahnen zweimal die Woche – seine persönlichen Aktivitäten waren so tief verschüttet wie die Sporttasche im Schrank. Und in diesem Moment spürte er eine Art Dankbarkeit für die Gruppentherapie, weil sie ihm das bewusst gemacht hatte. Eigentlich unfassbar, dachte er, dass ich unter diesen mir unbekannten Menschen offener über mich selbst sprechen kann als mit anderen, mir vertrauten Menschen. Ganz schön paradox, dachte er noch – und sah, wie zur Bestätigung, Chateaux’ schnelles Grinsen vor seinem geistigen Auge.
Er schaffte es gerade noch, die gepackte Tasche in den Flur zu stellen, als Nele mit Severin im Arm aus dem Badezimmer kam. Gerald setzte sich in die Küche und holte eine Flasche alkoholfreies Bier aus dem Kühlschrank. Nele und er hatten vor einigen Tagen entschieden, Severin nicht mehr gemeinsam ins Bett zu bringen. Die Anwesenheit beider Eltern, die mit ihm sprachen, ihn küssten und streichelten, schien kontraproduktiv für den angestrebten Zweck. Jetzt erschien es ihm fast wie ein Wunder, dass sie in einem Punkt eine gemeinsame Meinung vertraten.
Gerald trank einen Schluck und betrachtete seine Arme. Sie sahen dünn aus, form- und kraftlos. Würde Batzko gleich am ersten Tag den großen Zampano geben? Sich selbst das Gewicht dreier Eisenbahnwaggons aufladen, unter den Blicken und dem Beifall der Frauen? Und ihm, Gerald, so viel draufpacken, dass er die Stange um keinen Millimeter würde bewegen können und so hilflos aussähe wie eine Schildkröte, die auf ihrem Panzer liegt?
Als er die Flasche zur Hälfte geleert hatte, betrat Nele die Küche. Sie sah abgekämpft aus. Die kurzen Haare waren zerstrubbelt (Sevi hatte Friseur gespielt), ihre Augen gerötet, die Haut am Hals fleckig, wie es ihr passierte, wenn sie unter Stress stand oder eine Erkältung ausbrütete.
Sie trank im Stehen einen Schluck aus seiner Flasche und sagte dann tonlos und wie von weit her: »Du
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