Die Narbe
lautete die Schlagzeile. Die Pressesprecherin hatte sich also an die Vereinbarung gehalten, nichts über den BIID-Hintergrund des Opfers verlauten zu lassen und damit die Privatsphäre von Katja Reuther vor dem Voyeurismus der Medien zu schützen. Es war zudem im Sinne der Ermittlungen, wenn die Spekulationen wild ins Kraut schossen und der Täter sich zunächst sicher fühlte.
»Jedenfalls glaube ich, dass Steinhaus, was Reuthers Operation angeht, lügt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Reuther seiner Frau reinen Wein eingeschenkt hat und Steinhaus gegenüber business as usual praktiziert. Reuther ist ein systematischer Kopf. Er denkt eine Sache bis zu Ende und handelt dementsprechend. Außerdem halte ich ihn für einen aufrechten Charakter. Ohne Steinhaus gäbe es seine Firma nicht. Arno Reuther würde ihn nicht hinters Licht führen.«
»Das könnte bedeuten, dass sich unser Börsenfuzzi gewaltig verarscht gefühlt hat. Eine Operation dieses Kalibers mit Reha und allem Drum und Dran hätte den Aufbau der Firma um Wochen zurückgeworfen, wenn nicht sogar um Monate. Und das hätte die Kapitaldecke enorm belastet. Was ist, wenn Steinhaus doch zu lange Pizzakartons vor dem PC gestapelt hat und seine finanziellen Ressourcen zu knapp sind, um eine solche Verzögerung zu stemmen? Mir sind seine Sprüche ganz gewaltig auf den Zeiger gegangen. Das sind genau die Texte, die die Möchtegern-Erfolgreichen aus Ratgebern auswendig lernen oder bei Ein-Tages-Seminaren von Selfmade-Millionären in Fünf-Sterne-Hotels mitschreiben. Aber man weiß bei den Typen nie, was wirklich dahintersteht.«
»Wir werden es überprüfen.«
»Siehst du das?« Batzko hielt ein Blatt Papier in die Luft. »Ein netter Schrieb vom Staatsanwalt. Morgen Vormittag sitzen wir in der Bank von diesem Apanatschi und werfen einen Blick in sein Zelt, da, wo er sein Geld tief vergraben hat. Wenn er welches hat. Dasselbe werden wir bei Steinhaus tun.«
Gerald sah auf die Uhr. »Was können wir heute noch schaffen?«
»Du schreibst den Bericht, und ich werde mir den Volker Pollinger vornehmen. Er ist meine Gewichtsklasse. Ich werde noch einmal nachbohren, da, wo es besonders weh tut. Bei seiner Eifersucht, zum Beispiel. Er verlässt seine Frau und Kinder, hat jede Menge Stress und finanzielle Probleme, und seine Freundin erholt sich von den Perverslingen am Telefon beim einfühlsamen Studenten unterm Dach. Für eine Tat im Affekt würde es allemal reichen.«
»Okay. Aber prügele dich nicht mit ihm. Denk an die Warnung von Marleen Kattowitz.« Gerald zwinkerte Batzko zu.
»Sie muss dich gemeint haben, Schwächling. Treffen wir uns danach noch auf ein Bier?«
»Geht nicht. Ich habe die Schwimmtasche im Kofferraum.«
Batzko legte den Kopf schräg. »Der kleine Feigling zieht sich also vor mir ins Planschbecken zurück. Und nach dem Schwimmen?«
»Geht nicht. Ich muss …«
»… das Baby wickeln?«
»Du nervst, Batzko.«
»Logo. Womit fangen wir also morgen an?«
»Wir fahren zu einer Frau, die uns wahrscheinlich einiges verschwiegen hat.«
11
Ein Kleinlastwagen stand in der Auffahrt. Die Garage war geöffnet. Sie war tief genug, um an ihrer Rückwand neben einem Regal für Werkzeuge und Kleingeräte auch Möbel abstellen zu können. Gerald sah einen nagelneuen Büroschrank, ein Metallregal und einen Drehstuhl, auf dessen Sitzfläche dickleibige Computerbücher zu einem Turm aufgeschichtet waren.
Sie gingen zur Haustür. Batzko steckte seine Sonnenbrille ein und kontrollierte den Sitz seines Jacketts. Es war etwas kühler im Vergleich zu den Tagen zuvor.
Die Haustür stand einen Spalt offen. Als Gerald auf die Klingel drücken wollte, wurde die Tür mit Schwung von innen geöffnet. Katja Reuther riss vor Überraschung die Augen weit auf. In der rechten Hand trug sie eine schwarze Schreibtischlampe, das Kabel hing bis zu ihren Kniekehlen.
»Oh, entschuldigen Sie, ich hatte nicht mit Ihnen gerechnet.«
Sie stellte die Lampe ab und streckte die rechte Hand aus, bis sie realisierte, dass sie Gummihandschuhe trug. Verlegen trat sie zur Seite, um Gerald und Batzko hineinzubitten. Wie bei ihrem ersten Besuch trug sie einen Trainingsanzug. Die dichten, mittellangen Haare wurden von einem breiten Stirnband fixiert, das ihr Gesicht etwas flacher erscheinen ließ. Sie war sehr blass, die Augen flackerten nervös. Gerald erinnerte sich an die Tablettenschachtel auf dem Esstisch im Wohnzimmer und warf beim Eintreten einen Blick in die Küche und auf den
Weitere Kostenlose Bücher