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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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gemeinsam mit Batzko den Bericht schreiben und den kommenden Tag planen. Gerald wurde bewusst, dass er diesen Abend weder mit seinem Kollegen noch in seinen eigenen vier Wänden verbringen wollte. Und Franziska konnte und durfte er nicht sehen. Die Vorstellung, alleine in einer Kneipe zu sitzen oder ins Kino zu gehen, löste einen tiefen Widerwillen in ihm aus. Da fiel ihm ein, dass das Schwimmbad an diesem Tag bis zehn Uhr geöffnet war. Das wäre doch erst einmal ein Anfang.
    Er ging ins Schlafzimmer und nahm die Sporttasche aus dem Schrank, die noch ausgerüstet war für den Fitnesscenter-Abend mit Batzko. Nele lag mit Severin im Bett, aber mit dem Gesicht zur Wand. Während er die Sporttasche umpackte, hörte er Neles Stimme vom Bett her: »Soll ich ihr irgendwas sagen, wenn sie anruft?«
    Gerald zog den Reißverschluss zu.
    »Was? Ich verstehe nicht.«
    »Wenn sie anruft. Batzko.«
    »Es wird niemand anrufen.«
    »Trefft ihr euch im Fitnesscenter? Ist sie eine von Batzkos Schlampen mit knackigem Hintern und Titten so fest wie Kanonenkugeln? Treibt ihr es zu viert?«
    Zu seiner eigenen Überraschung blieb er vollkommen ruhig. Entweder hatten ihm die Gedanken an die Arbeit zur nötigen Distanz verholfen, oder sein Reservoir an Wut und Verzweiflung war für diesen Tag aufgebraucht. Er fühlte eine Art Gelassenheit, die neu für ihn war. Vielleicht hatte auch sie ihren Ursprung in den Therapiestunden. Er sah, dass er und Nele sich gegenseitig Unrecht taten und es vermutlich noch eine Zeit lang tun würden. Es brauchte Geduld, all das abzutragen, was sie in Monaten aufgeschichtet hatten. Aber nicht einmal das konnte oder wollte er ihr jetzt sagen.
    Wortlos verließ er die Wohnung.
    Batzko war nicht im Büro. Auf dessen Schreibtisch lag der Bericht der Spurensicherung. Gerald warf einen flüchtigen Blick auf die Fotos und wandte sich dem Bericht zu, der mit keinen Neuigkeiten aufwarten konnte. Es gab zwei verschiedene Fingerabdrücke auf dem Wasserglas: die von Arno Reuther und einer unbekannten Person. Vermutlich Steinhaus, dachte Gerald und schaute auf die Uhr. Es war kurz nach fünf. Wenn Steinhaus pünktlich gekommen war, war er in diesem Moment wohl mit Batzko im Erdgeschoss, beim Erkennungsdienst.
    Er las weiter. Keine verwertbaren Hinweise, keine Auffälligkeiten, nichts. Der Täter hatte wahrscheinlich die hinteren Räume nicht einmal betreten. Gerald hatte im Stillen gehofft, es wäre ein Seziermesser gefunden worden. Es hätte eine Verbindung zwischen den beiden Morden geschaffen und ihre Ermittlungen auf einen Täter und ein Motiv fokussiert. Aber so einfach war das Leben leider nicht, nicht das Eheleben und nicht das Kriminalistenleben.
    Es klopfte an der offenen Zimmertür. Batzko zwinkerte Gerald zu. Hinter ihm betrat ein Mann das Büro, der Gerald zunächst durch sein Alter überraschte. Er schätzte ihn auf Anfang, höchstens Mitte dreißig. Seine Garderobe war konservativ und lag, zurückhaltend geschätzt, auf der Ebene von Geralds monatlichem Bruttogehalt: dunkler Westenanzug, Krawatte und Einstecktuch mit demselben Muster, weißes Hemd mit besonders gestärktem Kragen, edles Schuhwerk. Die Armbanduhr war von einer Art, die man eher beim Juwelier als beim Uhrmacher kaufte.
    »Ich kann Ihren Gedankengängen nicht folgen«, sagte Batzko und wies Steinhaus den Besucherstuhl an seinem Schreibtisch zu. »Ich habe Sie freundlich gebeten, Ihre Fingerabdrücke nehmen zu dürfen. Wir vergleichen sie mit denen, die wir auf dem Wasserglas gefunden haben. Reine Routine. Sie haben doch Wasser getrunken und Herr Reuther Kaffee?«
    »Ja«, sagte Harald Steinhaus unwillig.
    »Wenn wir lediglich Ihre Abdrücke auf dem Glas finden, wissen wir zumindest, dass sich der Täter oder die Täterin nicht damit aufgehalten hat, sich mit einem Schluck Wasser Mut anzutrinken. Ihre erkennungsdienstliche Behandlung dient also allein unseren Ermittlungen, sie ist kein Indiz dafür, dass ein Tatverdacht gegen Sie vorläge.«
    Steinhaus fixierte Gerald und nickte ihm in knapper Geste zu. Er hatte ein gut geschnittenes, intelligentes Gesicht. Die Nase war lang und schmal, das Kinn etwas vorspringend, was ihm, verbunden mit einer schmalen Kerbe in der Mitte, etwas Dynamisches verlieh. Die Augen hingegen wirkten müde und überreizt. Mit einem Taschentuch rieb er wiederholt über seine Fingerspitzen, obwohl die keine Restspuren von Tinte aufwiesen. Dann blickte er nervös an Batzko vorbei. Er schien etwas zu suchen, bis Batzko die

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