Die Narben der Hoelle
einzige Besegelung. Die Akgül war ansonsten nur noch ein Motorboot mit blankem Mast …
Die oberflächlichen Schönheitsoperationen, an denen er sich dann versuchte, missglückten gründlich. Den Heckkorb konnte er nicht annähernd gerade biegen. Dazu hätte er die Kraft seiner beiden Arme gebraucht, konnte aber den linken kaum belasten. Auf der Steuerbordseite war nicht mehr viel zu retten. Der stählerne Motorsegler hatte mit seinem scharfen Bug einen Teil der Nirorohre glatt durchtrennt. Wenigstens gelang es, die Relingstützen wieder locker in die Löcher zu stecken und den Relingdraht provisorisch zu flicken.
Danach ersetzte er den zerbrochenen hölzernen Flaggenstock, an dem die türkische Nationalflagge schlaff ins Wasser hing, durch den Plastikstiel des Bootshakens, setzte die Flagge daran und band die ganze Konstruktion am Heck fest.
Eigentlich hatte er auch noch unten im Salon ein wenig Ordnung schaffen wollen, aber er merkte, dass er mit seinen Kräften schon wieder am Ende war.
Gern wäre er ins Wasser gestiegen, um ein paar Minuten zu schwimmen, schweißgebadet und schmutzig, wie er war. Aber mit der Schusswunde wagte er das nicht. Stattdessen wusch er sich mit dem von der Sonne aufgeheizten Wasser aus dem Frischwassertank der Yacht, verband die Wunde noch einmal neu und krönte die Behandlung mit der Einnahme von zwei Schmerztabletten und einem Antibiotikum.
Bisschen viel Chemie, die er in sich hineinstopfte, dachte er flüchtig. Aber damit war er ja bald durch …
Als er danach in einem neuen T-Shirt im Cockpit saß, fühlte er sich wieder einigermaßen erfrischt. Sogar das Pochen im Unterleib war etwas schwächer geworden.
Doch was machte das schon aus – der Schmerz, die Wunde, das demolierte Schiff?
Nichts davon konnte er wirklich ernst nehmen.
Er erinnerte sich wieder. Endlich. Nun fehlte noch eine Idee, wie er weiter vorgehen sollte. Er würde nicht ruhen, bis alles vollständig aufgeklärt wäre.
Der Untersuchungsbericht war falsch, das wusste er jetzt. Aber er war auch geheim. Nur wenige Menschen kannten seinen Inhalt. Wer also hatte ein Interesse daran, ihn zu ermorden?
Es ergab keinen Sinn, solange er auch darauf herumdachte …
Ein Klingeln riss ihn aus dem Grübeln. Er holte das Handy aus der Brusttasche. Mehmet.
Seine Stimme war vom Brummen starker Motoren untermalt.
Aufgeregt brüllte er seine überraschende Mitteilung heraus: Zusammen mit Taner Yilmaz saß er auf einem Schnellboot der Küstenwache, das gerade aus Izmir auslief. »In etwa zwei Stunden kommen wir bei dir im Bademli Körfezi an!«
»Zwei Stunden?«, fragte Johannes ungläubig nach. »Es sind fast sechzig Seemeilen von Izmir hierher! Was ist denn das für ein Boot?«
»Was weiß ich denn?«, schrie Mehmet zurück, um den Motorenlärm zu übertönen. »Ich versteh nichts von Schiffen, das weißt du doch. Wohl ein sehr schnelles … Schnellboot … Jedenfalls wird mir kotzübel von dem Geschaukel.«
Johannes erfuhr, dass der Eigner der Akgül gleich nach Mehmets Anruf alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt hatte. Ziemlich wirkungsvolle Hebel anscheinend, denn wenig später schon kam der Rückruf: Mehmet solle sofort zur Station der Küstenwache kommen.
»Das kannst du nie wieder gutmachen«, brüllte er jetzt. »Ich bin schon jetzt seekrank. Eine Höllenmaschine, dieses Schiff … «
»Wie, um Himmels willen, konnte Yilmaz so schnell die Küstenwache für sich einspannen? Was hat er denen denn erzählt?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass er exzellente Verbindungen hat! Wir sind hier in der Türkei, mein Freund … Ich muss jetzt Schluss machen. Soll dem Kapitän erzählen, was dir passiert ist. Hoffentlich kotze ich ihm nicht direkt vor die Füße … «
»Danke für alles, Mehmet!« Die Verbindung brach ab.
Die ,Höllenmaschine’ musste eines der modernen Patrouillenboote der türkischen Küstenwache sein, eine Kombination aus Hochsee-Speedboot und kleinem Kriegsschiff. Sie wurden hier im Lande gebaut.
Zwei Stunden! Das Boot lief also um die dreißig Knoten, fast sechzig Kilometer in der Stunde. Und das war, wie Johannes wusste, keineswegs schon die Höchstgeschwindigkeit.
Schwindelerregendes Tempo für einen Segler.
Johannes holte sich eine Dose mit einheimischem Efes- Bier aus der Kühlbox und trank ein paar Schlucke.
Unvermittelt trat ihm ein Gesicht vor Augen. Das Gesicht eines Afghanen, eines Sprachmittlers im Camp, der angeblich zufällig von dem Versteck der Geiseln erfahren hatte. Sogar
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