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Die Narben der Hoelle

Die Narben der Hoelle

Titel: Die Narben der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Dieter Neumann
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Membran platzte. Ein greller Blitz drang in sein Bewusstsein und hinterließ dort eine Bildsequenz, einen Film, der sich unauslöschlich einbrannte.
    Alles vom Hier und Jetzt war schlagartig verschwunden: Die Hitze von vorhin, die plötzliche Eiseskälte, die verschwitzte Koje, sein zerschlagener Körper. Auf einmal saß er in einem abgedunkelten Vorführraum und hatte die vollständige Kontrolle über den Projektor. Es war ein Tonfilm: Das Stakkato der Schüsse, das Jaulen der Querschläger und die Schreie der Menschen in dem hallenden Höhlengewölbe liefen auf der Tonspur mit.
    Er konnte den Film abspielen, sooft er wollte, sogar auf Zeitlupe schalten. An jeder beliebigen Stelle ließ sich die Vorführung anhalten, so dass er einzelne Standbilder betrachten konnte. Plötzlich roch er auch die muffige Luft in der Kaverne und den beißenden Pulverdampf.
    Es war der ungewöhnlichste Film, den er je in seinem Leben gesehen hatte.
    Und der wichtigste.
    Er zeigte ihm genau das, wonach er sich so gesehnt hatte.
    Was machte es da schon aus, dass er so kurz war?
    Der ganze Film dauerte nur wenige Sekunden, aber Johannes wusste auf einmal, dass seine Wanderungen auf dem Wellenteppich ein Ende gefunden hatten.
    Die Ärzte in Freiburg, auch Karen, alle hatten sie von ,Erinnerungsinseln’ gesprochen, die nach und nach in seinem Gedächtnis auftauchen würden, das dann von selbst Brücken zwischen diesen Inseln errichten konnte. So würde sich langsam ein Gesamtbild formen. Wenn er Glück hatte.
    Oft hatten sie das Thema ,Flashback’ besprochen, ein plötzliches Wiedererleben der Ereignisse, die er nur scheinbar vergessen hatte. Man erklärte ihm, dass das häufig mit Angstzuständen, mit Beklemmungen, auch mit Zittern einherging. So manches Mal in den letzten Wochen hatte er daher gedacht, er stünde schon vor einem solchen ,Flashback’.
    Nun, jetzt hatte es funktioniert. Und wie!
    Der verdammte Wirbelsturm hatte sein Innerstes nach außen gesogen.
    Verwundert stellte er fest, dass auf einmal alles etwas weniger wehtat als vorher. Auch sein Körper hatte wieder die normale Temperatur.
    Mit beherztem Schwung stemmte er sich von der Matratzenkante hoch und ging in den Salon.
    Karen – er musste ihr sofort von dem Film erzählen!
    Das Licht der Sonne, die jetzt durch die Oberlichter strahlte, beleuchtete schonungslos ein unbeschreibliches Chaos. Alles, was nicht festgeschraubt war – auch der Inhalt von Schapps und Schränken – lag, zu einem wirren Haufen aufgetürmt, auf dem Salonboden.
    Es war ihm völlig egal.
    Wieder und wieder spielte er im Geist seinen Kurzfilm ab.
    Schwungvoll bückte er sich und nahm ein Bodenbrett hoch, um die Bilge zu inspizieren.
    Hurra, das Wasser war nicht mehr gestiegen!
    Dann sah er sich die Reparaturstellen an den Einschusslöchern an: Die Leckpfropfen hielten immer noch dicht, auch unter dem neuen war alles trocken. Diese Entdeckung war das Sahnehäubchen auf seinem Glücksgefühl.
    Erstaunt stellte er fest, dass er hungrig war.
    Eine halbe Stunde später saß er entspannt, seinen breitkrempigen Hut auf dem Kopf, im Cockpit. Während er genüsslich eine gewaltige Portion Spiegeleier mit Schinken und gebratenen Tomaten vertilgte und dazu große Mengen von frisch gebrühtem Kaffee und Orangensaft trank, versuchte er, die Schäden am Schiff großzügig zu übersehen.
    Die Katze lag zusammengerollt ihm gegenüber auf einem Sitzkissen. Gerade hatte sie eine ganze Dose Corned Beef verzehrt. Dass sie vor kurzem einen Wirbelsturm überlebt hatte, schien sie in keiner Weise zu beeindrucken; ihr Appetit hatte jedenfalls nicht gelitten. Nun schlief sie friedlich.
    Johannes griff zu seinem Handy.
    Er wurde sofort durchgestellt, als er der Dame in der Zentrale sagte, er sei ein Patient von Frau Dr. Terhoven und riefe aus dem Ausland an.
    »Himmel, Jo, wieso meldest du dich erst jetzt? Ich habe mir schon Sorgen gemacht!«
    Dazu hattest du auch allen Grund, dachte er, beschloss aber, ihr nichts von dem zu erzählen, was bisher passiert war. Warum sollte er sie beunruhigen? Es gab Wichtigeres, das er ihr erzählen wollte.
    »Geht es dir denn gut?«, setzte Karen jetzt nach.
    Auch so eine Frage, zu der er sich lieber nicht ausführlich äußern wollte. »Karen, du wirst es nicht glauben, aber ich kann mich wieder erinnern … «
    »Was?«, rief sie wie elektrisiert aus. »Wirklich, Jo? Wann ist das passiert?«
    »Vor ungefähr einer Stunde. Ich bin aufgewacht, saß auf meiner Koje, da waren plötzlich

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