Die Narben der Hoelle
geht es Ihnen, Herr Clasen?«, erkundigte er sich höflich auf Englisch. »Ich hoffe, Sie konnten sich schon ein wenig erholen.«
»Nun, Sie sehen ja, dass ich hier die besten Voraussetzungen dafür habe«, gab Johannes ebenso freundlich zurück.
Mehmet stand der Sinn erkennbar nicht nach derlei Geplänkel. Forsch wandte er sich an den Polizisten und sagte: »Sie sind also gekommen, um uns, äh … ich meine Herrn Clasen über den Stand Ihrer Ermittlungen zu informieren, wie ich höre. Sind die denn schon abgeschlossen?«
Wenn ihm diese direkte Frage nicht gefiel, so zeigte der Beamte dies jedenfalls nicht. »Nein, ganz abgeschlossen ist die Sache noch nicht, aber ich darf Herrn Clasen heute berichten, was wir bisher herausgefunden haben.«
Ayse kam an den Tisch, stellte ein kleines Silbertablett mit Tee und Zucker vor den Polizisten und setzte sich zu den Männern. Der Beamte dankte höflich, nahm einen Schluck und sagte, man habe inzwischen gesicherte Erkenntnisse über die Identität der Leute, die Johannes verfolgt hatten. Insgesamt seien fünf Männer auf ihn angesetzt gewesen.
»Zwei von ihnen haben wir auf der kleinen Insel festgenommen. Wie Sie wissen, wurde der Komplize, der im Motorboot gewartet hatte, von unseren Leuten erschossen.«
»Was ist denn aus dem Motorsegler geworden?« fragte Johannes. »Hat man den gefunden?«
»Ja, das ging schnell. Der lag vor einem kleinen Fischerdorf am Steg. Çandarli heißt der Ort, nur ein paar Meilen weiter im Süden.«
»Und den Eigner, den Engländer, haben Sie den auch gefunden?«
»Nein, leider immer noch nicht. Wir haben aber Blutspuren an Bord gesichert. Alles deutet darauf hin, dass man ihn getötet und über Bord geworfen hat. Irgendwann und irgendwo wird seine Leiche vielleicht einmal angespült werden … «
Unvermittelt überfiel Johannes eine tiefe Traurigkeit. Er sah den Mann plötzlich vor sich, bärtig, in seinen Shorts, die Signalpistole in der Hand, und hörte ihn sagen:,Ich habe einen guten Single Malt an Bord – Sie können sicher einen kräftigen Schluck gebrauchen … ’
Mit belegter Stimme fragte er: »Und was ist mit dem Mann, den ich angeschossen habe? Haben Sie den gefunden?«
»Der lebt nicht mehr«, antwortete der Polizeioffizier. »Sein Komplize hat ihn mit einem gestohlenen Auto zum Krankenhaus nach Bergama gebracht und ihn dort vor die Tür gelegt. Aber da war er schon so gut wie tot. Und den Komplizen haben wir dann auf der Flucht nach Izmir gestellt und festgenommen.«
Schweigen senkte sich über die Runde. Der Beamte trank einen Schluck Tee, und Mehmet hüllte sich in Qualm ein. Johannes sah auf das Meer hinaus und hing seinen trüben Gedanken nach.
»Ja, aber wer waren denn nun diese Leute, die Herrn Clasen töten wollten?«, schaltete sich Ayse ungeduldig in das Gespräch ein.
Der Polizeichef wurde nervös. Hastig griff er wieder zu seinem Teeglas und rutschte unruhig auf seinem Sessel herum, bis er schließlich herausplatzte: »Sagen Sie bitte, was haben Sie eigentlich mit dem internationalen Drogenhandel zu tun, Herr Clasen?«
Mehmet grunzte unwillig.
Johannes sah dem Polizisten direkt ins Gesicht und erwiderte: »Nichts! Ich habe nichts mit Drogenhandel zu tun, weder national noch international, mein Herr!«
»Sehen Sie«, sagte der Beamte vorsichtig, »die Sache gibt uns einige Rätsel auf. Diese Leute waren uns nicht unbekannt. Wir möchten gern verstehen, wieso Schwerverbrecher, die schon viele Jahre im Gefängnis gesessen haben, hinter Ihnen her waren. Welches Interesse könnte das organisierte Verbrechen daran haben, Sie zu töten?«
Johannes wandte seinen Kopf und blickte wieder über die niedrige Feldsteinmauer auf die See hinaus.
Wie soll ich dir das erklären, fragte er sich ratlos. Soll ich dir etwas von Afghanistan erzählen? Von der Höhle, von dem Rachefeldzug eines Warlords vom Hindukusch? Du würdest sowieso kein Wort glauben – ich kann es, weiß Gott, selbst kaum glauben …
Also schwieg er.
Der Polizeioffizier stieß einen resignierten Seufzer aus und sagte: »Sie müssen meine Frage natürlich nicht beantworten, aber … «
»Aber was?«, unterbrach ihn Mehmet kampfeslustig. »Herr Clasen hat Ihnen gesagt, dass er kein Verbrecher ist, oder? Und das wissen Sie sicher auch!«
Ayse warf ihrem Mann einen warnenden Blick zu, und er verstummte.
Mit einem energischen Ruck stand der Polizist auf und sagte: »Ich möchte mich verabschieden. Ich hoffe, ich konnte Ihnen alles sagen, was Sie wissen
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