Die Narben der Hoelle
Wochen allein sein werde, sondern wieder Monate lang! Andere Frauen können das vielleicht aushalten, aber ich nicht. Ich ertrage es nicht, so lange allein zu sein. Es macht mich traurig, ich bin sogar wütend auf mich, dass das so ist. Nur, ich kann es nicht ändern. Ich habe ehrlich versucht, mich mit der Einsamkeit zu arrangieren, aber ich kann so nicht weiterleben. Unsere Wege müssen sich trennen.
So, nun ist es raus. Ich weiß, wie weh ich Dir tue. Bitte versuch, mir zu verzeihen. Ich bin leider nicht die Frau, die Dein Leben, so wie Du es lebst, auf Dauer mit Dir teilen kann.
Unsere gemeinsame Zeit war die schönste meines Lebens – wenn Du mal bei mir warst!
Pass gut auf Dich auf, tu nichts Unüberlegtes!
Ruf mich an oder schreib mir, wenn Du willst und wann immer Du willst. Ich sehe keinen Grund, dass wir nicht weiter miteinander reden könnten.
Ich bin genauso traurig wie Du!
Corinna
Der Brief war schon ganz zerknittert, so oft hatte er ihn in den Händen gehalten. Anfangs, vor vier Tagen, als er eingetroffen war, hatte er noch ganz andere Gefühle beim Lesen gehabt.
Heute waren Wut und Enttäuschung verflogen.
Nur noch hilflose Traurigkeit – jedes Mal, wenn er die Zeilen wieder las.
Vorbei.
Er hatte es geahnt, Unsinn, gewusst! Diese Erkenntnis half ihm aber nicht weiter.
Er hatte sie verloren. Auch jetzt, nach vier Tagen, immer noch unvorstellbar, das je zu verkraften.
Bevor er Corinna getroffen hatte, waren seine Beziehungen meist kurz gewesen. Nie hatte er eine gemeinsame Wohnung mit einer seiner Freundinnen geteilt. Er tat sich schwer damit, rasch zu viel Nähe, zu enge Bindungen zuzulassen.
All das war anders geworden, nachdem Corinna in sein Leben getreten war. Schon nach wenigen Tagen wagte er es, für sie sein Bollwerk niederzureißen.
Und nun war er wieder allein. Wären Corinna und er sich nicht begegnet, hätte er etwas anderes gar nicht gekannt. Und wäre vermutlich nicht einmal unglücklich gewesen.
Egal, ob und wann er jemals darüber hinwegkam, schwor er sich trotzig, während er den Brief in seine Tasche stopfte, niemals wieder würde er jemanden so nahe an sich heranlassen.
Niemals!
Sein einstmals so solider Schutzwall war in den letzten beiden Jahren stetig abgebröckelt.
Jetzt galt es, ihn wieder aufzurichten.
Und diesmal musste er halten.
19
September
Türkei
»Türken? Das ist ja Irrsinn! Bist du dir wirklich sicher, Jo?«
»O ja! Ich kann es mir auch nicht erklären. Aber es war eindeutig Türkisch. Und dann die Pistole … «
»Wieso, was ist mit der Pistole?«
»Zunächst hatte ich keine Zeit, sie mir näher anzusehen. Ich musste zwei Schusslöcher im Rumpf abdichten, meine Wunde versorgen, das Wasser aus dem Schiff bekommen und dann alles einigermaßen sauber machen. Überall war Blut und … Na ja, jedenfalls habe ich mir gerade erst einen Kaffee gekocht und was zu essen gemacht. Und nun sitze ich hier und seh mir die Pistole an.«
»Was ist denn damit?«
»Es ist eine Yavuz 16, Mehmet. Du weißt schon, die türkische Version der Beretta 92, die hier bei euch in Lizenz hergestellt wird. Eure Polizei und euer Militär haben die zum Beispiel.«
»Soll das heißen, du meinst, dass das türkische Polizisten oder Soldaten waren?«
Johannes lachte matt. »Nein, sicher nicht. Das waren Killer, irgendwelche Gangster, die jemand auf mich angesetzt hat. Und noch etwas: Der eine von ihnen hatte zwar üble Verbrennungen auf dem Kopf, aber sein Gesicht habe ich wiedererkannt.«
»Wie bitte? Du kennst den Mann?«
»Nein, natürlich kenne ich ihn nicht. Aber ich bin sicher, dass ich ihm schon zwei Mal begegnet bin. Zuerst auf dem Flughafen in Izmir. Da hab ich noch gedacht, ich leide unter Verfolgungswahn, weil ich glaubte, zwei Männer hätten mich dort erwartet. Einer davon war dieser Kerl.«
»Nicht zu fassen, davon hast du mir kein Wort gesagt!«
»Na ja, ich wollte mich nicht lächerlich machen. Aber jetzt glaube ich, dass ich ihm und seinem Kumpan wahrscheinlich noch einmal in Ayvalik begegnet bin. Ich kam gerade vom Hafenmeister und bin fast mit ihnen zusammengestoßen. Sie hatten es sehr eilig, ins Hafenbüro zu kommen. Damals hab ich nicht weiter auf sie geachtet.«
Mehmet schwieg. Dann sagte er nachdenklich: »Weißt du was, Jo, mir fällt auch gerade etwas ein. Glaub es oder glaub es nicht, aber als wir vom Flughafen weggefahren sind, auf dem Weg nach Ayvalik … « Er stockte.
»Nun sag schon!«
»Es klingt völlig verrückt. Aber vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher