Die Narben der Hoelle
aber doch, und dieses Lachen klang so unheilvoll, dass Hedayat erschrocken zusammenfuhr. Plötzlich schien er mit brutaler Klarheit zu spüren, dass es kein Spiel war, auf das er sich da eingelassen hatte.
Und die folgenden Worte Jamals bestätigten bestimmt seine schlimmsten Befürchtungen. »Nein, mein treuer Freund. Es geht mir nicht um Geld. Davon habe ich genug. Mein Herz will … « Er unterbrach sich kurz und fuhr dann mit leiser Stimme fort: »Egal. Je weniger du weißt, desto besser für dich.« Er richtete seinen Blick geradeaus in die Dunkelheit und sagte: »Sie müssen kommen, um ihre Geiseln zu befreien. Und dabei wird Blut fließen. Und dies wird mein Tag der Rache sein. Dann wird endlich Gerechtigkeit herrschen, in’shallah. «
Hedayat schauderte bei diesen Worten. Jamals Stimme klang wie die eines Fremden. Er schwieg.
Jamal atmete tief durch. Er hatte sich fortreißen lassen.
Das durfte er sich nicht gestatten.
Er würde noch genügend Zeit haben, seinen Triumph auszukosten, wenn die Stunde der Abrechnung kam.
Und die war in greifbarer Nähe.
Er musste sich zusammenreißen. Mit bemühter Sachlichkeit sagte er: »Sie müssen erfahren, wo die Geiseln versteckt sind. Dann werden sie kommen. Aber ich werde … , äh, wir werden vorbereitet sein. Wir werden sie in Empfang nehmen.«
»Hasst du denn die Soldaten der Ungläubigen so sehr?«
Wieder das furchterregende Lachen. »Ich mag sie nicht, nein. Aber hassen … « Er brach ab. Nach kurzer Überlegung fuhr er fort: »Mehr brauchst du nicht zu wissen. Hör genau zu: Morgen früh gehst du zu einem der deutschen Offiziere im Lager, einem, der dich kennt und der dir vertraut … «
»Davon habe ich einige dort«, unterbrach Hedayat selbstgefällig.
»Du sollst zuhören! Also: Du tust Folgendes … «
*
Johannes lag, bis auf die Unterwäsche entkleidet, auf seinem Bett im klimatisierten Wohncontainer und starrte an die Decke.
Zu viel Arbeit in den letzten Tagen. Und nur selten Gelegenheit, sich mit seinen privaten Problemen zu beschäftigen.
Wahrscheinlich auch gut so.
Dennoch standen ihm in jeder freien Minute die Sätze des Briefes vor den Augen. Inzwischen brauchte er ihn nicht mehr zu lesen.
Er kannte ihn auswendig.
Mehr als einmal war er kurz davor gewesen, Corinna anzurufen – und hatte es doch nicht getan.
Was hätte es auch gebracht, ihre Stimme zu hören, sich das noch einmal anzuhören, was sie in ihrem Brief geschrieben hatte? Es fiel ihm auch so schon schwer genug, die Haltung zu bewahren.
Einen Zusammenbruch durfte er nicht riskieren.
Natürlich bemerkte Paul Sahler sofort, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Aber er hatte so getan, als wäre ihm nichts aufgefallen, beobachtete seinen Freund, der auch sein Vorgesetzter war, nur besonders aufmerksam.
Treuer Paule.
Dann aber hatte Johannes vor drei Tagen nach dem Einschießen seine MP 7 auf den Rücksitz des WOLFS gelegt, ohne sie zu sichern. So etwas war ihm zuletzt in der Grundausbildung vor mehr als fünfzehn Jahren passiert. Bevor dieser gefährliche Fehler jemandem ins Auge fallen konnte, trat Paule an den Wagen, holte die Waffe vom Rücksitz und ging damit ein paar Schritte zur Seite. Johannes kam verwundert zu ihm herüber. Gerade als er etwas sagen wollte, zog Paule die Hand weg, mit der er vorher den Sicherungshebel der Maschinenpistole abgedeckt hatte.
Und der zeigte unverkennbar immer noch auf die rote Markierung für Einzelfeuer.
»Habe ich etwa …?« stammelte Johannes leise.
»Jawohl, Herr Hauptmann«, gab der Hauptfeldwebel in gleichmütigem Ton zurück und fügte ein gedehntes »Darf ich deine Waffe jetzt sichern?« hinzu. Dabei lächelte er aber nicht, sondern sah seinen Freund wachsam an.
Der rang einige Augenblicke still mit sich. »Hast du heute Abend mal ein paar Minuten Zeit? », fragte er dann. »Ich muss mit dir reden.«
»Na endlich!«
Selten hatte er sich so betrunken wie in dieser Nacht. Er las Paule ein paar Absätze aus Corinnas Brief vor, redete stundenlang und goss dabei literweise Dosenbier in sich hinein.
Sein Kater am nächsten Morgen hatte raubkatzenhafte Dimensionen. Wütend auf sich, weil er sich so hatte gehen lassen, musste er sich dennoch eingestehen, dass ihm genau das unglaublich gut getan hatte.
Paule weckte ihn und stellte eine Thermoskanne mit starkem Kaffee neben sein Bett. Dann ging er kommentarlos wieder. Seither war dieser Abend zwischen ihnen mit keinem Wort mehr erwähnt worden.
Selbstmitleid. Es half ein paar
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