Die Narben der Hoelle
leise aus dem Wagen und lauschte in die Nacht. Zu hören war nichts, aber plötzlich sah er auf dem schmalen Weg zu seiner Anhöhe den Strahl einer Taschenlampe für einen kurzen Moment aufblitzen.
Jamal wusste natürlich, wer da kam. Er steckte sich eine Zigarette an, um seinem Besucher die Richtung zu weisen, und nahm einen tiefen, genussvollen Zug.
Als er die Schritte des Ankömmlings hörte, trat er die Zigarette aus und setzte sich in sein Auto. Kurz darauf ging die Beifahrertür auf und ein kleiner, schlanker Mann glitt auf den Sitz.
» Salam, Hedayat«, sagte Jamal. »Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?«
»Ich bin doch nicht lebensmüde, Jamal!«, antwortete der Sprachmittler pikiert.
»Dann erzähl mir mal, was du bisher in Erfahrung bringen konntest.« Damit reichte er seinem Besucher sein flaches vergoldetes Zigarettenetui.
Hedayat entnahm eines der handgerollten Stäbchen mit Jamals Spezialmischung, zündete es an und begann nach einem tiefen Zug mit seinem Bericht: »Wir haben ein Problem, Jamal. Sie brauchen mich für ihre Besprechungen über die Geiselsache nur selten. Meistens bleiben die Deutschen unter sich, manchmal kommen auch Amis dazu. Heute zum Beispiel hatte sich ein ganz kleiner Kreis versammelt. Da waren auch zwei hohe amerikanische Offiziere dabei. Es ging sicher um das Lösegeld. Wozu sollten sie dabei auch einen afghanischen Dolmetscher benötigen? … «
»Aber du bist doch ständig in ihrer Nähe«, unterbrach ihn Jamal wütend, »da musst du doch eine Menge aufschnappen können. Was sie untereinander reden und so … «
»Das ist ja auch so, beruhige dich!«, antwortete Hedayat. »Aber bei den Planungsbesprechungen bin ich nicht dabei, daher sind meine Informationen nicht vollständig. Nur gestern … «
»Ja«, unterbrach ihn der alte Kämpfer ungeduldig, »was war denn gestern?«
»Gestern hatte ich wieder einmal den Auftrag erhalten, die afghanischen Zeitungen und die Fernsehberichte auszuwerten. Ich habe alle Texte zu der Geiselnahme und vor allem zur Lösegeldforderung in Deutsch und in Englisch übersetzt.« Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und setzte dann listig hinzu: »Und dann haben sie stundenlang diskutiert, bis einer bemerkt hat, dass ich noch hinten auf der Bank saß. Da erst haben sie mich hinausgeschickt.«
»Und dabei hast du etwas Wichtiges erfahren? Nun red schon!«
»Also, was dich sicher am meisten interessiert: Sie haben keine Ahnung, wo das Versteck ist. Sie haben alles versucht, es herauszufinden, haben ihre Flugzeuge losgeschickt und ihre Patrouillen, aber sie tappen völlig im Dunklen.«
»Sehr gut«, freute sich Jamal. »Aber wie stehen sie zu dem Lösegeld? Das ist ein kritischer Punkt, das weißt du!«
»Sie zweifeln keine Sekunde lang, dass der Brief von den Taliban stammt, da kann ich dich absolut beruhigen.«
»Das ist doch nicht das Problem, Hedayat!«, rief Jamal ungeduldig. »Natürlich glauben sie das. Was sollten sie auch sonst glauben? Ich habe mir viel Mühe gegeben mit diesem Täuschungsmanöver!«
Der Sprachmittler sah seinen Sitznachbarn erstaunt an und fragte: »Was ist denn dann das Problem?«
»Dass sie etwa tatsächlich zahlen wollen, du Trottel!«
»Wenn ich dir zu dumm bin, dann kannst du ja auch auf meine Dienste verzichten … «, erwiderte der Sprachmittler beleidigt.
Jamal merkte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er brauchte Hedayat noch. Ohne ihn könnte er den nächsten Akt in seinem blutigen Stück nicht starten. Er zwang sich zur Ruhe. »Das war nicht bös gemeint, Hedayat. Ich bin nur etwas angespannt. Alles muss jetzt wie geplant klappen! Und vergiss nicht: Du wirst reich sein, wenn die Sache vorbei ist!«
Die Aussicht auf die hunderttausend Dollar, die auf ihn warteten, stimmte Hedayat offenbar sofort wieder gnädig. Er fragte: »Also, was meinst du damit, dass sie das Lösegeld gar nicht bezahlen sollen?«
»Ganz einfach: Es muss zu einer Geiselbefreiung kommen. Unter allen Umständen! Auf keinen Fall darf die Sache so weitergehen, dass sie tatsächlich in Verhandlungen eintreten. Wer sollte die denn auch auf unserer Seite führen? Schließlich ist der Brief von uns. Sollen wir dabei weiter Taliban spielen?« Jamal zündete sich eine neue Zigarette an. »Aber das ist nicht einmal der springende Punkt«, fuhr er nach einem tiefen Zug fort.
»Ich hab gedacht, du hast das Ganze inszeniert, um ihnen ein paar Millionen abzuknöpfen … «
»Geld? Dass ich nicht lache!« Das tat Jamal
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