Die Narben der Hoelle
dazu?«
»Wozu denn, Charly?«
»Mensch, du liest doch Zeitung! So lange haben wir da unten den Kopf hingehalten – wofür? Was zum Teufel soll denn aus dem Land werden, wenn wir demnächst einfach abhauen? Dann war doch alles umsonst!«
Charly hatte sich in Rage geredet. Mit gerötetem Kopf bestellte er noch ein Bier und sah Johannes fordernd an: »Nun sag schon was dazu. Hab ich nicht recht?«
Und wie, dachte Johannes. Aber was nützt uns das? Noch sind wir da. Und müssen das Beste daraus machen, zusehen, dass unsere Soldaten immer wieder möglichst heil dort herauskommen.
»Wir werden ein Chaos zurücklassen. Und in kürzester Zeit sind die alten Kräfte wieder an der Macht, die Glaubenskrieger und die Warlords!«, stieß Charly hervor. »Dafür hätten wir da nicht reingehen müssen, oder?«
Schon wieder diese Frage.
War es schon damals falsch gewesen, an den Hindukusch zu ziehen – falsche Solidarität mit den USA nach Nine-Eleven?
,Ein unkontrollierbares Abenteuer’, nannte es Corinna oft.
»Was die Warlords betrifft«, sagte Johannes nachdenklich, »so ist deren Macht ungebrochen. Daran haben wir überhaupt nichts geändert mit unserer Präsenz … «
»Unterstützt von einem korrupten Präsidenten, den der Westen auf seinen Stuhl gehievt hat und der mit den mächtigen Männern gemeinsame Sache macht!«, ergänzte Charly.
Johannes stand auf. »Ich will noch einen Happen essen, entschuldigt mich.« Er trank den letzten Schluck aus seinem Glas, stellte es auf die Theke und ging in den Speisesaal.
Seit vielen Monaten lauerten Fragen in ihren Köpfen. Zweifel waren an der Tagesordnung.
Gab es überhaupt die richtigen Antworten?
Und selbst wenn: Die Zukunft Afghanistans entschied sich wahrhaftig nicht in diesem Offizierheim.
Oder überhaupt irgendwo in Deutschland.
3
April
Afghanistan
Abdul Kalakani saß im bequemen Ledersitz rechts im Fonds seines Luxus-Geländewagens. Er war auf dem Rückweg von einer Kontrollfahrt, hatte aber noch ein Objekt vor sich. Mit seinen schlanken Fingern schob er den Ärmel des Kaftans zurück. Ein Blick auf seine weißgoldene Rolex Oyster zeigte ihm, dass er nun schon seit sieben Stunden unterwegs war. Der breite Wagen war zwar gut gefedert, aber die lange Fahrt auf den kaum befestigten Schotterwegen hatte den alten Mann ermüdet.
Dennoch, er liebte diese Touren über das Land.
Sein Land. Herrliche Heimat, weite Ebene am Fuße des gewaltigen Gebirges.
Hier, in den verstreut liegenden kleinen Dörfern, hatte er seine wichtigsten Einrichtungen.
Unverzichtbar, immer wieder alles, was in seinem Einflussbereich geschah, persönlich zu kontrollieren. Zu nie vorhersehbaren Zeiten tauchte er in seiner Fabrik auf und vor den Lagerhäusern, die über das ganze Land verteilt lagen.
Und besonders im Stützpunkt seiner Privatarmee.
Abdul Kalakani war das, was man einen Warlord nannte, ein nicht nur für afghanische Verhältnisse sehr reicher Provinzfürst und Kriegsherr. Er lebte strikt nach dem Jahrhunderte alten Ehrenkodex der Paschtunen. Und der ruhte auf zwei Säulen:
Glaube und Freiheit.
Zu beiden Seiten des Flusses Kunduz, der der ganzen Region und auch der Provinzhauptstadt seinen Namen gegeben hatte, besaß er große Ländereien. Bis hoch in den Norden an die Grenze zu Tadschikistan erstreckte sich sein Besitz. Damit war er der mächtigste Mann im Norden Afghanistans. Auch in den Nachbarprovinzen geschah in Politik und Wirtschaft wenig ohne seine Zustimmung.
Zu ihm kamen die Menschen aus dem ganzen weitläufigen Gebiet, wenn sie sich nicht mehr selbst zu helfen wussten. Er wies niemanden ab, der ihm Respekt zollte, und mehrte so stetig die Schar seiner Getreuen. Überall im Land am Fuße des Hindukusch wusste man, wie viel Gutes er für die Menschen tat. Er gab verzweifelten Familien Geld für Medizin und nahm Stammesbrüder unter seinen persönlichen Schutz, wenn sie von staatlicher Willkür bedroht wurden. Auch entschied er bei größeren Streitigkeiten und hielt dabei ein strenges Gericht.
Sein Urteil galt. Die verhängten Strafen wurden stets widerspruchslos angenommen.
Er zahlte vielen Polizisten in der Provinz noch einmal das Doppelte des Lohns, den sie höchst unregelmäßig vom Staat erhielten. Und er hatte die getreuen Kämpfer seiner stattlichen Privatarmee mit Waffen und Gerät gut ausgerüstet. Sogar drei russische T 55-Panzer gehörten dazu, zwar alt, aber, wie das gesamte Waffenarsenal, in gutem Zustand.
Vor allem aber war er der Hauptabnehmer
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