Die Narben der Hoelle
vor kurzem. Beruhigte sich das Wasser? Er blickte durch die Plexiglasscheibe der Sprayhood nach Westen. Wurde der Himmel über der Insel schon etwas heller?
Es sah so aus, tatsächlich.
Erschöpft stieg er nach unten und zog seine nasse Jacke aus.
Die Aktionen da oben hatten der Wunde nicht gut getan, das merkte er sofort, als er versuchte, seinen linken Arm aus dem triefenden Kleidungsstück zu winden. Fluchend nahm er noch eine Schmerztablette und besah sich dann den undichten Pfropfen.
Das Rinnsal war ein wenig breiter geworden. Stetig rieselte Seewasser die Wand herunter. Ein schneller Blick in die Bilge zeigte ihm aber, dass die Pumpe damit fertig wurde. Er konnte sich nur wundern, wie klaglos sie ihren Dauereinsatz verkraftete. Nie wieder sollte ein spöttischer Kommentar zu französischer Yachttechnik über seine Lippen kommen …
Er machte etwas Wasser heiß – kein einfaches Unterfangen, so wie das Boot immer noch stampfte und rollte – und bereitete sich vorsichtig einen Instant-Kaffee zu. Als er das heiße Gebräu in kleinen Schlucken trank, strich plötzlich die Katze um seine Füße und gab leise Laute von sich.
»Sag bloß, du willst jetzt etwas essen … « murmelte Johannes beeindruckt.
Wurden Katzen nicht seekrank?
Er holte eine Dose Cornedbeef aus dem Kombüsenschapp, riss den Deckel ab und stellte sie auf den Boden. Hungrig schnupperte das kleine Tier daran und vertilgte den Inhalt dann in wenigen Minuten.
»Anspruchsvoll bist du ja nicht«, lachte Johannes. Aber vermutlich kannten diese halbwilden Tiere gar kein ,normales’ Katzenfutter.
Er war zwar todmüde, wusste aber, dass er keinen Schlaf mehr finden würde, bis der Sturm ganz durchgezogen war. Also konnte er genauso gut jetzt gleich einen neuen Leckpfropfen einschlagen und dann wenigstens hier unten etwas Ordnung schaffen. Die Trümmer des Funkgerätes, die Splitter der Verkleidung und der Berg von Kunststoff-, Holz- und Blechteilen, der im Salon herumlag, schrieen danach, weggeräumt zu werden.
Die Tablette begann zu wirken, stellte er erfreut fest, und machte sich an die Arbeit.
Eine Stunde später war das Gröbste geschafft. Nun wollte er auch oben an Deck noch etwas Ordnung schaffen. Die Gelegenheit war günstig: Der Anker hielt, und der Sturm hatte weiter nachgelassen.
Vielleicht noch sechs Beaufort, schätzte Johannes, als er hinauf ins Cockpit stieg.
Er hatte ja bereits gesehen, dass das Einschussloch im Schlauchboot seine Aufmerksamkeit nicht mehr benötigte. Der Stahlrumpf des Motorseglers hatte das ganze kleine Dingi regelrecht zermalmt. Als roter Haufen Gummi, aus dem jegliche Luft entwichen war, lag es jetzt, von der wilden Rückwärtsfahrt zusammengepresst, unten auf der Badeplattform. Der Schaft des Außenbordmotors klemmte noch am zersplitterten Heckbrett und ragte aus dem Gummihaufen heraus.
Der Motor selbst lag vermutlich in etwa fünf Meter Tiefe an der nächtlichen Ankerposition der Akgül.
So unangenehm es für ihn werden konnte, nun nur noch schwimmend vom Schiff zu kommen – das Gummiboot hatte als Rammschutz gegen den Stahlrumpf des Motorseglers gute Dienste geleistet. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie das Heck der Akgül wohl aussähe, wenn es in der Nacht nicht durch diesen Puffer geschützt worden wäre.
Da ihm nichts Besseres einfiel, holte er ein Stück Tau aus der Backskiste und band das kleine Wrack auf der Badeplattform fest. Mühsam kletterte er dann wieder ins Cockpit und richtete sich auf.
Sofort wurde er misstrauisch. Irgendetwas störte ihn plötzlich.
Dann wusste er es: Der Wind war völlig eingeschlafen!
Unvermittelt hatte sich der Sturm gänzlich gelegt, und eine dumpfe Schwüle hing über der Yacht. Die plötzliche Stille war unheimlich.
Dann sah er es, und sein Herzschlag setzte aus.
Er hatte so etwas bisher nur auf Bildern und in Filmen gesehen. Als er aber erblickte, was dort gerade über das Wasser auf ihn zukam, erkannte er es sofort: Einer jener mediterranen Hurrikane, Medicanes genannt, vor denen in den letzten Jahren immer wieder gewarnt wurde. Vor allem im Spätsommer traten diese Wirbelstürme nun auch im Mittelmeer häufiger auf. Es gab sie als kleine ,Wasserteufelchen’ – dann waren sie eher harmlos – und in Form ausgewachsener Tornados.
Mit gewaltiger Zerstörungskraft.
Sollte dieser hier zur zweiten Kategorie gehören, dann gab es keine Rettung für die Yacht und alle, die auf ihr waren …
Die Luft füllte sich auf einmal mit einem singenden Ton,
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