Die Narben der Hoelle
Eindringlingen das Leben zur Hölle. So vereitelten sie den Versuch, die im heiligen Islam gewachsenen Strukturen zu vernichten und ihr Land unter die Kontrolle Moskaus zu zwingen.
Bis heute konnte man überall noch zerbombte Gebäude, rostende Panzerwracks und zerstörte Militärfahrzeuge finden.
Schaudernd dachte er an die Jahre der verbissenen Kämpfe am Salang-Pass auf fast 4000 Meter Höhe.
Immer wieder fügten sie dem Feind empfindliche Verluste zu, für den dieses Nadelöhr die Lebensader und Nachschublinie für seine Operationen zwischen dem Norden und der Hauptstadt Kabul war. In Nord-Süd-Richtung gab es keinen anderen Pfad über den Hindukusch als diesen. Der Pass war daher eine Schlüsselstelle im Guerillakampf.
Unzählige Male sprengten sie die Straße und legten Minen. Fast täglich wechselten sie ihre Stellungen im Gebirge, schleppten die schweren Maschinengewehre in der dünnen Luft von Ort zu Ort. Wurden sie von feindlichen Flugzeugen angegriffen, zogen sie sich in vorbereitete, mit Verpflegung, Feuerholz und Munition ausgestattete Höhlen tiefer im Gebirge zurück und kämpften weiter.
Auch unten in der erbarmungslosen Hitze der Tiefebene mit ihren Sandstürmen verfolgten die Mudschaheddin diese Taktik.
Tausende von Hinterhalten, tausende Male schnelles Zuschlagen und Abtauchen in den Weiten der Stein- und Sandwüste, immer neue über Nacht ausgebrachte Minen.
Zehn lange Jahre, dann hatten sie den übermächtigen Feind zermürbt.
Sein Vater, dessen Nachfolger als Stammes- und Provinzfürst er seit jener Zeit war, musste verbittert den Tod zweier seiner drei Söhne beklagen und hatte dennoch im Hintergrund weiter dafür gesorgt, dass die Waffentransporte aus dem Nachbarland niemals versiegten. Täglich schwor der alte Mann, bereits gezeichnet von Altersschwäche und Krankheit, Rache für den Tod seiner Söhne und betete für die Vernichtung der Invasoren.
Schließlich erhörte Allah seine Gebete: Geschlagen zog die Sowjetarmee aus seinem Land ab.
Nicht geordnet allerdings. Es war eine regelrechte Flucht.
Der alte Mann schickte nach Abdul, seinem einzig verbliebenen Sohn, betete mit ihm und starb.
Inzwischen näherte sich die kleine Fahrzeugkolonne dem Stützpunkt, nachdem sie einige Zeit durch das knietiefe Wasser eines Flussbettes gefahren war.
»Nicht zum Haupttor, Hashmat«, befahl Kalakani. »Wir fahren hinten um das Lager herum an das östliche Nebentor!«
Einige Minuten später fuhren sie auf den hohen Drahtzaun zu, in den das abseits gelegene Nebentor eingelassen war. Kalakani erstarrte. Er traute seinen Augen nicht. Das Tor stand weit offen! »Da stimmt etwas nicht«, rief er und lehnte sich hastig nach vorn. »Kein Mann zu sehen – was ist da los?«
Hashmat konnte nicht antworten, denn er gab bereits mit schneidender Stimme über Funk seine Befehle an die Männer im Sicherungsfahrzeug durch. Der Warlord sah, dass innerhalb weniger Sekunden vier Männer mit Maschinenpistolen aus dem Wagen sprangen und links und rechts neben den Fahrspuren hinter dem Geröll und zwischen den niedrigen vertrockneten Dornensträuchern am Wegrand in Deckung gingen.
»Du bleibst am Steuer sitzen!«, rief Hashmat dem Fahrer zu. »Wenn ich dir ein Zeichen gebe, fährst du sofort hundert Meter zurück. Masud bleibt auch im Wagen und sichert euch!«
Der Mann links neben dem Warlord bestätigte den Befehl mit einem kurzen Laut, dann sprang Hashmat auch schon aus dem Fahrzeug und verschwand ebenfalls zwischen den Steinen.
Angespannt, aber äußerlich gelassen, blieb Kalakani sitzen und beobachtete durch die Frontscheibe, was weiter geschah. Alles blieb ruhig. Nach wie vor war niemand am Tor zu sehen. Auch von seinen fünf Männern, die sich, immer auf Deckung bedacht, auf das Lager zubewegten, war nichts zu erkennen.
Plötzlich entdeckte er eine Staubwolke innerhalb des Lagers, die sich schnell dem Tor näherte. Ein Geländewagen hielt kurz darauf an der Innenseite des Tores und einer der hier stationierten Kämpfer stieg aus. Erst jetzt erblickte er die vor dem offenen Tor stehenden Fahrzeuge und riss vor Schreck seine umgehängte Maschinenpistole nach oben. Hektisch blickte er um sich.
Ein lauter Wortschwall im Befehlston war auf einmal zu hören, ohne dass man sah, wer da rief. Sofort ließ der Mann verwirrt seine Waffe sinken. Im selben Augenblick standen, wie aus dem Nichts erschienen, zwei der Bodyguards aus dem Sicherungsfahrzeug neben dem Kämpfer und hielten ihm ihre Waffen vor das Gesicht.
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