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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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anderen zu überlassen ist dem Expansiv-Narzissten nur schlecht möglich. Zu kämpfen, sich zu behaupten, die eigene Position zu vertreten oder sogar durchzusetzen und für das eigene Wohl zu sorgen, das fällt hingegen dem abhängigen Konarzissten schwer. In der Kollusion des Größenselbst- und des Größenklein-Narzissten stabilisieren und regulieren beide ihre Beziehungsunfähigkeit, indem sie wie Schloss und Schlüssel zusammenpassen und sich dabei einbilden können, doch in einer guten Beziehung zu leben.

Die Träger gesellschaftlicher Fehlentwicklung
    Die narzisstische Störung eignet sich hervorragend als psychosoziale Grundlage einer auch gesellschaftlich ausgeprägten Abwehrstruktur. Fast regelmäßig – nahezu zwingend, um sich vor seelischer Erschütterung zu schützen – wird die allzu menschliche, die psychische Dimension menschlichen Verhaltens bei der Analyse gesellschaftlicher Vorgänge vergessen, geleugnet oder als unbedeutend – als purer Psychologismus – abgewertet. Das ist bereits ein Symptom narzisstischer Abwehr. Aber alle machtpolitischen, ökonomischen, militärischen und kulturellen Einflüsse und Zwänge sind schließlich von Menschen gemacht und ausgestaltet, deren Entscheidungs- und Handlungsmotive von unbewussten seelischen Vorgängen beeinflusst werden. Es ist mit Sicherheit falsch, etwa auf ökonomische Zwänge zu verweisen, ohne zu berücksichtigen, welche seelischen Bedürfnisse oder Defizite sich in den gegebenen Verhältnissen und Entwicklungen abbilden oder ausagiert werden. Allerdings lässt sich auf der Symptomebene unterschiedlicher Auffassungen vortrefflich streiten, auf diese Weise kann man sich affektiv abreagieren und sich unendlich ablenkend beschäftigen. Dies würde sich nur ändern, wenn jede persönliche Position nicht allein durch Sachargumente begründet, sondern aus den innerseelischen Motiven analysiert und verstanden würde. Dann würde so manche im Brustton der Überzeugung vorgetragene Position zusammenschrumpfen wie ein Ballon, aus dem die Luft herausgelassen wird.
    Da es keine wirkliche Entscheidungsfreiheit bei narzisstischen Defiziten gibt, sondern immer nur Bestrebungen, vom psychosozialen Elend abzulenken und sich irgendeinen Ersatz zu schaffen, sind der «freie Markt» ebenso wie «freie Wahlen» in vieler Hinsicht eine Illusion. Auch das Wirtschaftssystem wird – nach Überwindung kollektiver Not und Armut – stets zum Tummelfeld narzisstisch begründeter Begehrlichkeiten. Werbung, Reklame, Mode, Status und Gruppendruck sind so wirkungsvoll, weil sie zu suggerieren verstehen, was Menschen mit narzisstischen Defiziten brauchen: was sie glücklich machen soll, wie man es schafft, anerkannt zu werden und dazuzugehören. Denn aus sich heraus wissen sie das nicht, konnten sich nicht entwickeln und herausfinden, wer sie wirklich sind und werden können, was sie wirklich brauchen und begehren.
    So gestalten die narzisstischen Störungen auch die Gesellschaften aus, wobei die typische Kollusion von Größenselbst und Größenklein ein weitgehend reibungsloses Zusammenspiel – jedenfalls bis zum Kollaps – ermöglicht. Dabei nehmen die Führer und Bosse die Position des Größenselbst und das Volk und die Belegschaften die Rolle des Größenklein ein. Daran können auch oppositionelle Kräfte, intellektuelle Kritiker, wissenschaftliche Warner, die Gewerkschaften, Bürgerproteste, Aussteiger und Nichtwähler nicht viel ändern. Sie gehören eher ins System der Verleugnung und symptomatischen Kosmetik. Wird die zugrunde liegende narzisstische Reife der Bevölkerung nicht berücksichtigt, bleibt jeder wertende Vergleich eines demokratisch gewählten Systems mit einer autoritären Diktatur ohne Aussagekraft.
    Im deutschen Nationalsozialismus fanden die individuellen narzisstischen Störungen ihre kollektive Abwehr in einem Weltherrschaftswahn, der sogar Krieg und Völkermord rechtfertigte. Ohne die überzeugte bis begeisterte Kriegs- und Mordlust einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung wäre das nationalsozialistische Regime nicht bis zum bitteren Ende aufrechtzuerhalten gewesen. Die historische Entwicklung wirft ein Licht auf die innerseelische Bedeutung narzisstischer Kränkung und erfahrener Bestätigungsdefizite, die sich in den ausagierten Verbrechen manifestieren.
    Im real existierenden DDR -Sozialismus dann bekamen die unerkannten und unaufgelösten narzisstischen Störungen der Nazidiktatur neues Abwehrfutter durch die Suggestion einer

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