Die Naschmarkt-Morde
schlug die Tür hinter sich zu. Flügelschlagend steuerte Toni auf seinen Herren zu, der ihn, so gut es ging, auffing und ihn auf die Schulter setzte. Wofür sich der Vogel mit einem »Geh scheißen!« bedankte.
IV/2.
»Frau Aurelia, Frau Aurelia!« Atemlos stürzte Mizzi in die Küche der Schmerda’schen Wohnung. »Stellen Sie sich vor, heute Nacht ist am Naschmarkt ein Mädel erwürgt worden. Zwischen den alten und den neuen Ständen, dort wo das ganze Klumpert 43 zum Bauen herumliegt. Ihre Zunge soll so wie die von einer Kuh gewesen sein … ganz lang ist sie ihr aus dem Mund herausgehangen. Und violett und dick soll sie auch gewesen sein, die Zunge. Ihr Gesicht war vor lauter Schrecken verzerrt, mit Augäpfeln, die aus den Augenhöhlen herausgesprungen sind. In der Hand hat das Mädel einen Rosenkranz so fest gehalten, dass das Blut gespritzt ist. Und vor lauter Angst soll sie sich noch in die Hose gemacht haben, groß und klein, das soll man an den Flecken im Kleid gesehen haben. Und …«
Weiter ließ die Köchin das Dienstmädel nicht reden. Sie nahm die Kleine in die Arme, wo diese vor Aufregung und Angst hemmungslos zu weinen begann.
»Ist ja schon gut, Kinderl …«, tröstete sie die Mizzi. »Ist ja schon gut. Du musst nicht jeden Unsinn glauben, den die Leute am Markt erzählen. Ich bin sicher, dass die wenigsten die Leiche wirklich gesehen haben. Die meisten haben einfach nur davon gehört und sich ihren eigenen Reim darauf gemacht. Und wenn das viele Leute tun, dann kommt am Ende ein ganz grausliches Schauermärchen heraus, das mit der Wahrheit überhaupt nix mehr zu tun hat …«
Die Köchin kontrollierte den Einkaufskorb, den die Mizzi mitgebracht hatte. Es fehlten einige Sachen, die die Mizzi in ihrer Aufregung vergessen hatte. Da das Mädel sowieso schon ziemlich hysterisch war, machte ihr die Litzelsbergerin keine Vorwürfe und haute ihr auch keine runter. Sie überlegte vielmehr, was sie mit den nicht ganz kompletten Einkäufen zubereiten könne. Ursprünglich wollte sie eine Selleriepüree-Suppe sowie einen Kalbsbraten mit gefüllten Kohlrüben und Reis kochen. Doch die Mizzi hatte in ihrer Verwirrung keinen Braten, sondern einen Schlögel vom Kalb gebracht. Die Kohlrüben sowie die für die Fülle notwendigen Champignons und das Rauchfleisch hatte sie völlig vergessen. Der Sellerie war – Gott sei Dank – im Einkaufskorb. Topfen 44 , Butter, Eier sowie eine Zitrone hatte das Mädel gebracht, sodass die Nachspeise – eine Topfenschnitte – nicht gefährdet war.
»Als dann! Fangen wir mit dem Kochen an! Es hilft ja alles nichts, um 1 Uhr setzt sich der gnädige Herr an den Tisch, und wir müssen ihm ein anständiges Mittagessen servieren. Hol den Speck aus der Speisekammer, nimm die Spicknadel und fang das Kalbfleisch zu spicken an. Statt des Kalbsbratens gibt es halt ein Fricandeau mit gedünstetem Reis.«
Und während die Mizzi sich bei der Küchenarbeit allmählich beruhigte, überlegt die Litzelsbergerin, wie viel Wahrheit wohl in dem Bericht des Dienstmädels enthalten war. War tatsächlich am Naschmarkt ein Mord passiert? Aber warum? Von wem? Und vor allem an wem? Wer konnte so etwas Schreckliches tun? In Gedanken versunken, sprach sie die letzte Frage halblaut aus. Die Mizzi, die gerade wieder heulte, weil sie für den gedünsteten Reis die Zwiebel schnitt, antwortete, ohne in der Arbeit innezuhalten: »Da wüsste ich schon wen, der dazu imstande wäre …«
»Mizzi, was sagst denn da?«
»Na, weil es wahr ist! Weil, dieser Fleischhauergeselle, der Anastasius Schöberl, das ist ein ganz ein Schlimmer. Vor dem haben alle Dienstmädeln Angst. Weil er uns immer auflauert. Und uns in dunkle Ecken oder Gänge zerrt und uns dort dann an den Busen und unter den Rock greift.«
»Aber deswegen bringt der doch keine um!«, tadelte die Köchin.
»Haben Sie eine Ahnung, Frau Aurelia. Das ist ein ganz ein gemeiner Kerl! Erst heute früh hat er sich die blonde Dorothea, die was beim Grafen Kinsky im Dienst ist, geschnappt und dann, weil sie sich gewehrt hat, hat er sie bei den Haaren gepackt und sie in einem fort gegen die Mauer geschlagen. Zum Glück ist ein Polizeiagent kommen, der was den Schöberl überwältigt und abgeführt hat.«
»Mein Gott, Kind! Was ist denn das für eine Zeit, in der wir leben? Zu mir war der Schöberl immer freundlich und zuvorkommend, wenn ich bei ihm eingekauft hab. Ein richtiger Charmeur ist das … Und jetzt erfährt man solche Sachen … Bist du dir auch
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