Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
plötzlich ein Mann vor seinem Tisch stand. Schönthal-Schrattenbach schreckte aus seinen Grübeleien auf und sah in das bärtige Antlitz eines Fauns. Beim näheren Hinschauen erkannte er, dass dieses Gesicht dem zurzeit wohl umstrittensten Maler Wiens, nämlich Gustav Klimt, gehörte. Der Maler räusperte sich und fragt höflich: »Verzeihen S’, Herr Baron, wenn ich Sie beim Nachdenken stör, aber ich tät’ gerne ein paar Worte mit Ihnen wechseln …«
    »Mit mir? Das überrascht mich. Aber nehmen S’ doch Platz, Herr Klimt. Hoffentlich wollen S’ mit mir nicht über Kunst reden. Das wär’ mir peinlich. Weil, davon versteh ich nix.«
    »Um Gottes willen … Über Kunst red ich selber nie. Ich hab auch allen meinen Freunden und Kollegen verboten, sich in meiner Gegenwart über Kunst zu äußern. Über Kunst gibt’s nix zu reden. Wer was über Bilder wissen will, der soll die Augen aufmachen und sie anschauen.«
»Und über was wollen S’ dann mit mir plaudern?«
    »Müssen Herr Baron, müssen. Es geht um Ihre Cousine, die Gräfin Hainisch-Hinterberg. Sie war vor über einem halben Jahr in meinem Atelier in der Josefstadt und hat ein Porträt bestellt. Dann hat sie mir ein paar Mal Modell gesessen, und plötzlich ist sie nimmer daher gekommen. Jetzt hab ich das halb fertige Bild im Atelier umadum 48 stehen … Außerdem hat s’ auch die Anzahlung, die sie mir versprochen hat, nie geleistet. Ende der Woche fahr ich auf Sommerfrische an den Attersee. Da bin ich dann zwei Monate. Drum wollt ich schaun, ob Sie mir vielleicht helfen können, eine Aussprache mit Ihrem Fräulein Cousine zu arrangieren.«
    »Immer gibt’s Umstände mit diesem Weibsbild …«, seufzte Schönthal-Schrattenbach. »Wenn Sie wüssten, was meine Cousine schon alles angestellt hat, seitdem sie in unsere Wohnung einzogen ist. Meine arme Frau Mama ist seitdem ganz grau geworden. So schöne blonde Haare hat s’ früher gehabt …«
    Klimt rutschte während der Unterhaltung unruhig auf seinem Sessel hin und her. Sein untersetzter, muskulöser Körper schien keine bequeme Sitzposition zu finden.
    Als die Rede auf die Baronin Schönthal-Schrattenbach kam, wurde er noch unruhiger und sagte: »Mir geht es ähnlich wie Ihnen, Herr Baron. Ich leb mit meiner Mutter und meinen Schwestern in einem Haushalt. Mit den Weibsbildern hat man es als Mann nicht immer leicht …«
    »Wem sagen Sie das! Aber um auf die Minerl, meine Cousine, zurückzukommen: Dass sie in den letzten Monaten nicht bei Ihnen Modell sitzen war, wundert mich nicht. Die hat im Moment ganz andere Flausen im Kopf. Aber dass sie Ihnen die Anzahlung schuldig geblieben ist, ist ein Skandal. Das bedauere ich zutiefst. Ich werde daheim mit meiner Frau Mama reden. Sie soll der Minerl sagen, dass sie Ihnen schleunigst das Geld zukommen lässt. Vielleicht geht sich das sogar bis zum Ende dieser Woche aus …«
    Gustav Klimt sprang auf und schüttelte mit aufrichtiger Herzlichkeit Schönthal-Schrattenbachs Hand. Dieser zuckte aufgrund des kräftigen Händedrucks zusammen, verzog aber keine Miene.
    »Herr Baron, das ist zu gütigst. Wenn Sie das wirklich für mich tun wollen. Ich hoffe, dass sich das alles in Wohlgefallen auflöst. Und dass Sie vielleicht schon zu Weihnachten das fertige Porträt Ihrer Cousine bewundern können. Herr Baron, ich empfehle mich. Wünsche noch einen angenehmen Tag.«
    Damit eilte Gustav Klimt davon. Nicht ohne beim Verlassen des Cafés seinen Kollegen am Künstlertisch zuzuwinken.
    Schönthal-Schrattenbach aber knurrte vor sich hin: »Die Minerl … diese Kanaille …«

VII/2.
    Joseph Maria Nechyba schlenderte wohl gesättigt über den Naschmarkt. Eigentlich hatte er Lust auf ein nachmittägliches Schläfchen. Die Sonne brannte erbarmungslos auf seinen Buckel, und er schwitzte heftig. Das vormittägliche Menschengewühl hatte sich in gähnende Leere verwandelt. Viele, vor allem von auswärts kommende bäuerliche Anbieter hatten ihre Siebensachen gepackt und sich auf den Heimweg gemacht. Einige harrten in der Hitze aus, dösten vor sich hin und sonderten dabei deftige Ausdünstungen ab. An Gerüchen herrschte wahrlich kein Mangel: reifes, überreifes und bereits faulendes Obst, Gemüse, Grünzeug und Blumen, intensiv duftende Kräuter, verwesende Abfälle, fauliges Wasser, eingetrockneter Urin und Fäkalien, modriges Holz sowie alte, schmutzige Kleider. Fratschlerinnen, die einen Schirm oder eine aus Hölzern und Fetzen zusammengebastelte Konstruktion zum Schutz

Weitere Kostenlose Bücher