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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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einer kleinen Lichtung gelangten, die ringsum so dicht von teilweise miteinander verwachsenen Buchen umgeben war, dass es wie ein Schutzwall wirkte.
    »Der Buchenhort«, sagte Findig zufrieden. »Nur wenige kennen diesen Ort. Ich denke, hier können wir den Rest der Nacht ungestört verbringen.«
    Sie scharrten Laub zusammen, das ihnen als Schlafstätte und als Decke diente. Albin fror und hätte am liebsten ein Feuer entzündet. Aber selbst wenn ihnen das gelungen wäre, hätte es unweigerlich ihr Versteck verraten. So musste die dünne Schicht Laub genügen, um den kalten Nachtwind abzuhalten, der mit einem hellen Pfeifen durch den Baumwall fuhr. Die Erschöpfung der langen Flucht ließ Albin unverhofft rasch einschlafen und wieder träumte er.
    Die Bäume erwachten zum Leben. Mond und Sterne leuchteten hell genug, um alles deutlich zu sehen. Die Baumwurzeln formten sich zu Beinen, die Aste zu Armen. Das Erdreich brach auf und mit mächtigen Schritten rückten die Buchen auf ihn zu. Die Äste schlugen nach ihm wie Peitschen und in den Baumstämmen taten sich gierige Münder auf, die ihn verschlingen wollten. Schrille Schreie, nie gehörte Laute des Hasses und der Mordlust, drangen aus diesen Mäulern und ließen sein Blut gefrieren. Am liebsten hätte er seine Ohren mit Erde verstopft, um die gellenden Schreie nicht länger ertragen zu müssen.
    Furcht packte Albin. Er wollte aufspringen und weglaufen, aber da wickelte sich ein langer Ast um seinen Fuß und hielt ihn fest. Er stürzte und schlug hart mit dem Kopf auf. Als der Schmerz ihn durchfuhr, wusste er, dass er nicht länger schlief. Er war tatsächlich aufgesprungen, um vor den Buchen zu fliehen - vor den Buchen, die sich drohend um ihn zusammenrotteten, um ihn zu zerreißen, zu zertrampeln, zu zerquetschen. Zwischen ihren Stämmen war kaum noch eine Lücke zu erkennen. Dieser Ort, der Buchenhort, musste verhext sein!
    Er richtete sich auf den Knien auf, spie nach Erde und Verwesung schmeckendes Laub aus und blickte sich panisch um. Wo steckte Findig? Die Lagerstätte des Elben war leer, nur zerwühltes Laub. Er musste die Gefahr erkannt haben und war geflohen, ohne Albin zu warnen. Seine eigene Haut war ihm wichtiger gewesen, diesem feigen Verräter!
    Die zu missgestalteten Riesen verformten Buchen waren jetzt so nah, dass Albin nichts anderes mehr sah als ihre raue, schorfige Haut. Astarme umschlangen mit schmerzhaftem Griff seine Hand- und Fußgelenke und zerrten an ihnen, wollten den Findling in Stücke reißen.
    Er hätte aufgeben, die Augen schließen und den nahen Tod, der das Ende von Schmerz und Schrecken verhieß, herbeisehnen können. Aber das wollte er nicht. Sollten all die Mühen - Wenrichs Quälereien, die Flucht aus der Abtei und der lange Marsch entlang der Drachenwand - vergeblich gewesen sein? Sollte er an diesem einsamen, grauenhaften Ort sterben ohne zu wissen, was mit Gerswind geschah, ohne ihr beistehen zu können? Alles in ihm sträubte sich gegen solch ein Ende. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er die Baumriesen an und sagte sich immer wieder, dass nicht wahr sein konnte, was er hier erlebte. Es waren doch nur Bäume, keine Ungeheuer!
    Von einem Augenblick zum anderen ließ der Schmerz nach. Die schrillen Schreie waren verstummt und er hörte nur noch den hellen Singsang des Windes. Er lag in einem unordentlichen Laubhaufen und konnte alle Glieder frei bewegen. Die Buchen standen an ihren ursprünglichen Plätzen, die Wurzeln fest im Erdreich verankert, und wiegten ihre Aste sanft im Wind. Er spürte den Schmerz in seinen überanstrengten Muskeln, konnte aber keine Verletzungen an seinen Gelenken feststellen, sah nicht einmal die Striemen, die der starke Druck der Aste hinterlassen haben musste.
    Zwischen den Bäumen bewegte sich etwas, eine kleine Gestalt. Findig löste sich aus dem Schatten der Buchen und kam lächelnd auf ihn zu. Albin spürte die Zufriedenheit des anderen, die ihm unerklärlich war.
    »Gut gemacht, mein Junge«, sagte Findig im väterlichen Tonfall und strich über Albins Kopf. »Aber fast wärst du auf die Baumriesen reingefallen, nicht?«
    »Reingefallen?«, wiederholte Albin wie geistesabwesend. Und dann durchzuckte ihn der Blitz der Erkenntnis. »Du hast es getan!«, schrie er und sprang auf.
    Er stürzte sich auf Findig und riss ihn zu Boden. Dort rangen sie kurz miteinander, bis Findig auf Albin saß und einen Dolch gegen seine Kehle drückte. Mit seiner ungeheuren Stärke hielt der ältere Elb den

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