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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nicht um Hilfe, Lady.«
    »Was wollt Ihr dann?« fragte sie mit düsterer Miene.
    »Wir haben gesehen, was eben geschah«, entgegnete Faustus. »Ihr habt ein junges Mädchen bei Euch, es trägt eine Maske aus Leder. Was ist mit ihr geschehen?«
    Lara runzelte die Stirn. »Ich wüßte nicht, was das zu Eurer Angelegenheit macht.«
    Faustus gab keine Antwort. Als ich ihn erwartungsvoll ansah, bemerkte ich, daß sein Gesicht erstarrt war. Sein Blick fesselte den der Gauklerin. Einen Augenblick schien es, als gelänge ihm das Kunststück von vorhin ein zweites Mal, denn Laras Züge wurden wächsern, ihre Augen groß und rund. Dann aber blinzelte sie plötzlich, schüttelte den Kopf und fuhr meinen Meister giftig an: »Versucht das niemals wieder, Doktor Faustus!«
    Ich erwartete angstvoll, daß sie uns sofort davonjagen oder gar dem Inquisitor ausliefern würde. Mit einem Mal aber verzog sich ihr Gesicht, und sie begann herzlich zu lachen.
    »Ich kann in Euren Augen lesen, Faustus. Ihr seid verärgert. Verärgert über Euch selbst.«
    »In der Tat«, gestand er. »Ich glaubte schon, mein altes Talent sei zurückgekehrt.«
    Lady Lara schüttelte immer noch lachend den Kopf. »Der Kleine, bei dem es Euch eben gelang, ist ein Medium. Zumindest behauptet das sein Vater, unser Magier und Geisterbeschwörer. Das Kind ist empfänglich für allerlei geistigen Einfluß, stärker, als jeder andere Mensch, den ich kenne. Wahrscheinlich wäre er selbst dem Blick Eures Schülers erlegen.«
    Was daran war nur so spaßig, daß selbst Faustus jetzt in ihr Gelächter einfiel?
    Schließlich, nachdem beide wieder zu sich kamen (und wohl mein galliges Gesicht bemerkten), sagte Faustus: »Gestattet Ihr mir, mit dem Mädchen zu sprechen?«
    Lara seufzte. »Sie spricht nicht. Mit niemandem. Die Kleine scheint stumm zu sein. Wir wissen nicht, ob es an ihren Verletzungen liegt.«
    »Dann ist sie noch nicht lange bei Euch?« fragte Faustus.
    »Wir lasen sie vor zwei Tagen am Wegesrand auf.«
    »Wo war das?«
    »Östlich von hier, nahe der Elbe.«
    »Und sie lag einfach auf der Straße?« fragte Faustus ungläubig.
    Lara blickte zu Boden. Ein Lächeln, fast verschämt, erschien auf ihren Lippen. »Ihr werdet mir nicht glauben, wenn ich Euch die genauen Umstände schildere.«
    Mein Meister holte tief Luft. »Glaubt mir, ich habe schon Dinge gesehen, die mich gelehrt haben, alles zu glauben – oder umgekehrt: nichts für unmöglich zu halten.«
    Lara sah erst mich, dann wieder ihn an und strich sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. »Nun«, begann sie zögernd, »da Ihr so unvermittelt nach dem Mädchen fragt, werdet Ihr wohl Eure Gründe haben. Ihr ahnt etwas, nicht wahr? Ich will Euch ein Geschäft vorschlagen: Ich sage Euch, was ich weiß, und Ihr helft dafür mir, mehr über die Kleine herauszufinden. Himmel, wir wissen nicht einmal ihren Namen.«
    Faustus nickte zustimmend.
    Lara fuhr fort: »Es war am Abend. Wir zogen entlang einer alten Pilgerstraße gen Westen und wollten noch in der Nacht die Wälder erreichen. An einem alten Kreuzweg hörten wir mit einem Mal über unseren Köpfen ein Rascheln und Stöhnen, so laut, daß es selbst die Hufe der Pferde übertönte. Gleich neben der Kreuzung stand eine alte Eiche, darunter ein Marienbild. Nun wißt Ihr selbst, wie es mit solchen Bäumen an Kreuzwegen ist: Oft wird einer darin aufgeknüpft und zappelt noch eine Weile am Strick, ehe der Sensenmann vorbeischaut. Trotzdem war mir nicht wohl bei der Sache. Es war stockdunkle Nacht, und als wir den Baum mit Fackeln beschienen, da sahen wir, daß die Laute von weit oben aus der Baumkrone kamen. Ich selbst stieg hinauf ins Geäst. Und dort fand ich sie. Die Kleine hing nackt zwischen den Ästen, völlig verrenkt, mit dem Kopf nach unten. Ihr Gesicht war verbrannt. Sie hätte tot sein müssen, und doch war noch Leben in ihr.«
    Ich schenkte Faustus einen ungläubigen Seitenblick, doch er hörte immer noch aufmerksam zu.
    »Das Grauenvollste aber war nicht die Brandwunde«, fuhr Lara fort. »Viel schlimmer war der Rücken des Mädchens.«
    »Was ist damit?« fragte Faustus leise.
    »Ihr Rücken war voller Blut, sie mußte viel davon verloren haben. Es gelang uns schließlich, sie sicher hinab auf den Boden zu heben. Bis dahin hatten wir geglaubt, man habe sie ausgepeitscht oder sonstwie gegeißelt. Doch dann entdeckten wir, daß zwei riesige Schnittwunden über ihren Rücken verliefen, nach unten hin aufeinanderzulaufend wie eine römische

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