Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
über dem Tal. Die Nacht war angebrochen, doch in der Schwärze des Himmels leuchteten keine Sterne; gegen Abend mußten Wolken aufgezogen sein. Aus dem Dorf, jenseits der großen Wiese, klangen Männerstimmen und schäbiger Gesang herüber. Hinter den Umrissen der äußeren Häuser war ein flackernder Schein zu erkennen. Die Landsknechte lagerten noch immer auf dem Dorfplatz und kommandierten wahrscheinlich die Bauern herum, ihnen Speise und Trank zu bereiten. Angewidert spie ich ins Gras. Asendorfs Männer gebärdeten sich wie fremde Eroberer. Manch hübsche Bauerntochter mochte in dieser Nacht ihre Unschuld verlieren.
Lara führte uns gebückt zu einem der anderen Wagen. Um uns im Gras lagen die Gaukler und gaben vor, zu schlafen. Tatsächlich aber folgten uns ihre wachen Blicke bei jedem Schritt. Niemand sprach. Kein Feuer brannte. Vom Dorf aus mußte es aussehen, als habe sich die Truppe zur Ruhe gelegt.
Die Anführerin schlug die Plane zur Seite und öffnete uns den Blick ins Innere des Wagens. Das Mädchen lag mit dem Bauch nach unten auf einem Stapel von Decken und Fellen. Sie schien zu schlafen. Neben ihr saß ein Mann in sternbesticktem Gewand, offenbar der Magier und Geisterbeschwörer des Zirkus. Er hielt einen brennenden Kerzenstumpf, der das Innere des Wagens nur unzureichend erhellte. Trotzdem erkannte ich, daß auf dem Rücken des Mädchens Blutflecken im reinen Weiß des Nachtgewands blühten. Die Wunden mußten immer noch nässen.
Faustus schwang sich hinauf, ich hinterher. Lara blieb draußen stehen und sah uns durch die geöffnete Plane aufmerksam zu.
»Ich bin Gisbrand«, sagte der Gaukler im Zaubererkostüm. Ob er tatsächlich im Magischen bewanden war oder ob es sich bei ihm nur um einen Scharlatan handelte, der den Leuten die Münzen aus den Taschen zog, blieb ungewiß. Ich vermutete aber, daß er zumindest medizinische Kenntnisse besaß, da Lara ihm das Mädchen anvertraute. Sein Gesicht war spröde und ledrig und sprach von jahrzehntelangem Leben auf der Straße.
»Wie geht es ihr?« fragte Faustus mit Blick auf das Mädchen.
Gisbrand zuckte mit den Achseln und hielt den Kerzenstummel näher an ihren Kopf. Die Ledermaske war hinten mit drei Schnallen verschlossen. »Sie schläft, denke ich. Man kann nie sicher sein. Sie liegt den ganzen Tag über da und regt sich nicht. Ihre Schmerzen müssen entsetzlich sein.«
Faustus nickte und machte sich daran, die Maske zu öffnen.
»Was tut Ihr da?« fragte Lara alarmiert.
»Luft muß an ihre Wunden dringen«, sagte er.
Gisbrand legte eine Hand auf Faustus’ Unterarm. »Das weiß ich«, sagte er scharf.
»Warum handelt Ihr dann nicht danach?« fragte Faustus in ebenso gereiztem Ton und schüttelte die Hand des anderen ab. Es war abzusehen, daß zwischen den beiden keine Freundschaft entstehen konnte. Offenbar fürchtete Gisbrand in meinem Meister einen Nebenbuhler um Laras Anerkennung.
»Sie ist ein Engel«, erklärte der Gaukler unheilvoll. »Niemand darf ins Antlitz eines Engels sehen.«
»Ihr seid sehr gläubig, Gisbrand«, bemerkte Faustus. Er schien dasselbe zu denken wie ich: Wie konnte sich dieser Mann mit der Schwarzen Kunst beschäftigen, wenn der Glaube an Gott so tief in ihm verwurzelt war?
Bevor der Gaukler etwas erwidern konnte, hatte Faustus bereits die letzte Schnalle geöffnet. Mit einem Wink gab er mir zu verstehen, den Oberkörper des Mädchens zu heben. Dann zog er unendlich vorsichtig die Maske herunter.
Bisher war immer nur vom verbrannten Gesicht des Mädchens die Rede gewesen; keiner hatte mich auf den Anblick ihres Hinterkopfes vorbereitet. Von ihrem Haar war nichts übrig geblieben, alles war restlos verbrannt. Ihre Kopfhaut war pechschwarz und schuppig, wie Asche in einem Lagerfeuer. Mich wunderte, wie sie mit solchen Verletzungen noch am Leben sein konnte.
Dann rollte Faustus sie behutsam auf die Seite, und ich sah ihr Gesicht.
»Allmächtiger!« entfuhr es mir.
Ihr Züge waren eine geschwollene Masse, blasig, fast unkenntlich. Ihre Lider waren geschlossen, doch ich zweifelte, daß die Augäpfel darunter noch sehen konnten. Ihre Nase glänzte feurig rot und hatte sich mehrfach geschält, war aber wider Erwarten nicht fortgebrannt. Auch ihr Mund schien bis auf die Schwellung unversehrt. Trotzdem war ihr Anblick entsetzlich. Mitleid zerriß mir schier das Herz.
»Das arme Kind«, sagte Faustus, der durch keine Regung verriet, ob er das Mädchen vom Scheiterhaufen wiedererkannte. Ich mochte nicht glauben,
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