Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
Asendorf die Gauklerwagen nicht von den Hängen aus beobachten ließ. Andernfalls war unser Schicksal besiegelt.
Ungehindert erreichten wir den ersten Wagen und preßten uns eng an seine Rückseite. Die Stimmen der Gaukler waren von hier aus deutlich zu vernehmen. Sie planten einen eiligen Aufbruch.
Plötzlich bemerkte ich neben mir eine Bewegung. Ich sah zur Seite – und blickte direkt ins Gesicht eines Jungen. Er war wohl dabei gewesen, die Unordnung, welche die Landsknechte angerichtet hatten, aufzuräumen, als er uns durch Zufall entdeckte. Er starrte uns aus großen Augen an, ich starrte zurück – und handelte. Blitzschnell packte ich ihn und preßte meine Hand auf seinen Mund. Er begann zu strampeln und um sich zu schlagen, doch war er viel jünger als ich und entschieden zu schwach, um es mit mir aufzunehmen. Schließlich gab er nach. Zumindest glaubte ich das bis zu jenem Moment, da ich bemerkte, daß Faustus vor mich getreten war. Streng blickte er dem Jungen in die Augen. Und da begriff ich, weshalb der Kleine seinen Widerstand aufgab. Mein Meister hatte ihm allein durch Geisteskraft seinen Willen aufgezwungen; offenbar gelang ihm bei Kindern durchaus, was ihm mit Älteren nicht glücken wollte.
Stumm gab er mir ein Zeichen, den Jungen loszulassen. Ich tat es, und der Kleine machte sogleich einen Schritt von mir fort, blieb dann aber stehen und sah Faustus erwartungsvoll an. Der Doktor flüsterte ihm einen Befehl zu, worauf der Junge um den Wagen herum zu den anderen rannte.
Augenblicke später kehrte er zurück. An seiner Hand führte er die Anführerin der Gaukler. Aus der Nähe wirkte sie noch bezaubernder, wenngleich ihr Gesicht eine kämpferische Härte aufwies, ungewöhnlich für eine junge Frau wie sie. Ihr schwarzes Haar war zerzaust. Sie schien in Eile zu sein; es gefiel ihr nicht, daß der Junge sie von wichtigeren Geschäften abhielt. Faustus hatte ihm befohlen, ihr zu sagen, er habe etwas Ungewöhnliches entdeckt, das sie sich unbedingt ansehen müsse.
Nun stand sie vor uns, und obgleich sie bei unserem Anblick leicht zusammenzuckte, verschlug er ihr doch keineswegs die Sprache.
»Sieh an«, sagte sie, »wenn das nicht die beiden Ketzer sind.«
Faustus lächelte zaghaft. »Das sind sie, in der Tat. Verzeiht die ungewöhnliche Weise, in der wir Bekanntschaft schließen, doch es schien mir klüger, nicht gleich Euer ganzes Lager in Aufruhr zu versetzen. Zumal Asendorfs Männer sicher ein Auge auf Eure Leute haben.«
Sie sah ihn lange an, als wolle sie sich jeden Fingerbreit seiner Züge einprägen, dann tat sie dasselbe mit mir. Schließlich sagte sie: »Folgt mir in den Wagen. Hier draußen ist es zu unsicher.«
Faustus nickte, und die junge Frau stieg hinauf in den Planwagen. Im Vorbeigehen gab Faustus dem Jungen den Befehl, zurück zu seinen Leuten zu laufen. Nachdem der Kleine sich abgewandt hatte, schnippte der Doktor hinter ihm mit den Fingern. »Er hat bereits alles vergessen«, erklärte er, als ich ihn fragend ansah.
»Könnt Ihr mich das auch lehren?«
Er beugte sich hinab an mein Ohr. »Nun, um ehrlich zu sein, bin ich schon froh, wenn es mir selbst ab und an gelingt.«
Mit einem mysteriösen Lächeln stieg er hinauf in den Wagen, und ich folgte ihm enttäuscht. Niemand bemerkte uns. Die Gauklerin ließ die Plane hinter uns zufallen und setzte sich auf eine Truhe. Wir selbst gingen ihr gegenüber in die Hocke. Der Wagen war von oben bis unten angefüllt mit Taschen und Beuteln, mit Gauklerutensilien, zerknüllten Kleidungsstücken und allerlei buntem Gerumpel. Durch den dichtgewebten Stoff der Plane drang bräunliches Zwielicht.
»Ihr seid also Doktor Faustus«, sagte die Gauklerin. Ein Hauch von Anerkennung lag in ihrer Stimme. »Unser Zauberkünstler würde sicher ein Wort mit Euch schätzen.«
Faustus nickte, sagte aber nichts.
»Ich bin Lady Lara, und ich spreche für diesen Haufen dort draußen. Was wollt Ihr von uns?«
»Mein Adlatus Wagner und ich befinden uns in einer üblen Lage«, entgegnete Faustus und fügte hinzu: »Wie Ihr Euch nach dem Besuch des Hexenjäger sicher denken könnt.«
Lady Lara nickte. »Er scheint ganz besessen davon, Eurer habhaft zu werden. Aber ich will nicht wissen, was Ihr ihm angetan habt, und ich will nicht, daß Ihr von seinen Schandtaten sprecht. Tatsächlich will ich weder über Euch noch ihn irgend etwas erfahren. Ihr bringt uns alle auf den Scheiterhaufen, wenn Ihr Euch länger in unserem Lager aufhaltet.«
»Wir bitten Euch
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