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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Fünf. Es sieht aus, als hätte man ihr zwei tiefe Streifen aus Fleisch und Muskeln herausgeschnitten.«
    »Gütiger Himmel!« entfuhr es mir schaudernd.
    Faustus faßte sich schnell. »Und, habt Ihr erfahren, wie sie in diesem Zustand hinauf in den Baum gelangte?«
    Lara schüttelte den Kopf. »Wir nahmen sie bei uns auf und pflegen sie seither. Sie muß vor ihrer Verstümmlung in unglaublicher Verfassung gewesen sein. Ihr habt es ja gesehen: Sie kann fast wieder auf den Beinen stehen, nur einige Herzschläge lang, doch wer von uns würde das schaffen? Keiner, das schwöre ich Euch. Dieses Mädchen muß kräftig und behende gewesen sein wie ein wildes Tier, als hätte sie ihr Leben lang nur an ihrem Körper gearbeitet, ihn geformt wie ein Kunstwerk. Deshalb erzählen wir allen, sie sei eine Tänzerin.«
    »Euch fehlt also jeder Hinweis auf ihre Herkunft«, stellte Faustus grübelnd fest.
    »Nicht ganz«, erwiderte Lara tonlos. »Unser Beschwörer, der Vater des Jungen, hat die Brandwunden und die furchtbaren Schnitte an ihrem Rücken betrachtet. Er sagt, daß er weiß, wo sie herkommt.«
    »Woher? So redet doch«, verlangte Faustus.
    »Ihr werdet kein Wort davon glauben«, sagte die Gauklerin leise und beugte sich mit ernster Miene vor. Dann lächelte sie, als bitte sie vorab um Verzeihung.
    »Er sagt, sie sei ein gefallener Engel.«
     
    ***
     
    Lara verließ uns für eine Weile und bereitete ihre Leute auf unseren Anblick vor. Offenbar gab es kaum Widerspruch, denn sie kehrte schnell zurück und sagte: »Ihr müßt hierbleiben, bis der Abend anbricht. Im Schutze der Dunkelheit bringe ich Euch zu dem Wagen, in dem das Mädchen liegt.«
    »Ich dachte, Ihr wolltet so schnell wie möglich abreisen«, sagte Faustus erstaunt.
    »Wollten wir«, erwiderte Lara bitter, »doch die Landsknechte haben es uns verboten. Einer von ihnen war hier, während ich mit Euch im Wagen saß. Der Hexenjäger hat befohlen, daß wir bis zum Morgen bleiben müssen.« Ihre Wort klangen jetzt stockend, so, als bemühte sie sich, ihre Sorge zu überspielen. »Offenbar hat Euer Freund heute abend noch etwas vor.«
    »Denkt Ihr, er wird angreifen?« fragte ich aufgeregt und sah meinen Kopf schon auf einem Spieß auf dem Dorfplatz.
    Faustus antwortete, bevor Lara etwas sagen konnte. »Das darf er nicht. Selbst er ist an Gesetze gebunden.«
    »Gesetze!« rief Lara voller Verachtung. »Die Inquisition hat sich nie an Gesetze gehalten.«
    »O doch«, widersprach Faustus. »Sie dehnt sie nur ebensoweit wie ihre Opfer auf der Streckbank. Aber Asendorf muß sich schon einiges einfallen lassen, um ein Massaker an einer ganzen Gauklertruppe zu rechtfertigen. Dafür wären Verhandlungen nötig, ein Prozeß, vielleicht Absprachen mit dem Bischof. All das würde Wochen, wahrscheinlich gar Monate in Anspruch nehmen. Nein, Lady Lara, habt keine Furcht. Bis zum Morgen seid ihr sicher.«
    »Er hat einen Kardinal auf seiner Seite«, gab ich zu bedenken.
    »Aber einen, dem nicht an dir oder mir gelegen ist«, entgegnete Faustus, »sondern allein an den toten Priestern. Und mit denen haben die Gaukler – zumindest in seinen Augen – beileibe nichts zu tun.«
    Dabei schenkte er Lara einen mehrdeutigen Blick, doch sie blieb gefaßt und verabschiedete sich bis zum Abend. »Ihr wartet hier drinnen, bis ich Euch hole«, sagte sie, dann zog sie von außen die Plane zu.
    »Was glaubt Ihr«, fragte ich, nachdem die Gauklerin verschwunden war, »ist das Mädchen wirklich ein Engel?«
    Faustus lächelte, dann hob er die Schultern. »Warten wir ab, bis wir sie sehen.« Er lehnte sich zurück und zog sich die Kapuze weit über die Augen. »Bis dahin aber ist wohl endlich Gelegenheit, ein wenig zu schlafen.«
    Und das war das letzte, was ich bis zum Abend von ihm hörte.
    Mir selbst fiel es weit weniger leicht, den lange schon nötigen Schlaf zu finden. Ich fürchtete, Asendorfs Schergen könnten zurückkehren und die Planwagen erneut durchsuchen. Einmal glaubte ich in weiter Ferne Schreie zu hören, und ich dachte an Friedbert, den Müller, der uns so bereitwillig Unterkunft gewähren wollte. Ich fragte mich, was er den Landsknechten gesagt hatte, als sie ihn nach uns befragten.
    Schließlich aber muß ich doch eingeschlafen sein, denn als Lara plötzlich die Plane aufriß und uns zuraunte, wir könnten jetzt den Wagen verlassen, da war mir, als seien seit ihrem Fortgang nur Augenblicke vergangen.
    Geschwind kletterten Faustus und ich ins Freie. Bleierne Dunkelheit hing

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