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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sogar.«
    Ich verstand noch immer nicht, wollte ihn aber aus Stolz nicht weiter drängen. Nur eines verlangte ich noch zu erfahren: »Woher wißt Ihr überhaupt, daß da noch jemand ist?«
    »Ich habe es im Stall bemerkt«, erklärte Faustus. »Neben unseren Pferden stand eines, das offenbar erst am Abend hier angekommen war. Es rührte sich nicht und war offenbar völlig erschöpft, wie nach einem langen oder aber überaus eiligen Ritt. Während ihr anderen vorausgingt, berührte ich es mit der Hand. Es war heiß, und sein Herz schlug schneller als gewöhnlich.«
    Ich schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber das muß nichts bedeuten. Es könnte einem Boten gehören. Oder einem Jäger, der spät von der Pirsch heimkehrte.«
    »Es trug ein Brandzeichen«, widersprach Faustus. »Eines, das nicht dem Kurfürst gehört.«
    »Dann wißt Ihr, woher es stammt?« fragte ich verblüfft.
    Er lächelte und gefiel sich offenbar sehr in der Rolle des Geheimniskrämers. »Ich denke, schon. Doch laß uns abwarten. Wir werden bald Gewißheit haben.«
    Gerne hätte ich ihm gesagt, was ich von seiner Art hielt aus allem ein Rätsel zu machen. Doch welchen Sinn hätte es gehabt, in dieser Lage noch mit ihm zu streiten?
    »Sagt warum sind wir nicht einfach aus dieser Gegend geflohen?« fragte ich statt dessen und ließ mich im Schneidersitz auf dem Boden nieder.
    »Um bei jedem Laut aufzuschrecken? Um stets mit der Gefahr im Nacken zu reisen?« Erstmals hatte er seine Stimme merklich angehoben, weniger aus Zorn über mich denn aus Wut über unsere Lage. »Um immer und überall unter falschem Namen aufzutreten? Nein«, gab er sich selbst die Antwort, »unsere Flucht muß ein Ende haben.«
    Da verstand ich. Oder glaubte zu verstehen. Faustus genoß es, daß die Menschen seinen Namen mit Ehrfurcht aussprachen. Er liebte es, sich unter ihren bewundernden Blicken zu bewegen, ebenso, wie er es brauchte, ihnen durch öffentliche Kunststücke das Geld abzuknöpfen. Mit Asendorf im Rücken aber war das unmöglich. Daher gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder, er besiegte den Inquisitor ein für allemal – oder aber, er brachte soviel Abstand zwischen sich selbst und den Hexenjäger, daß dieser seine Suche von neuem beginnen mußte.
    Faustus hatte sich offenbar für letzteres entschieden: Abwarten, bis Asendorf gekommen und wieder gegangen war und in anderen Teilen des Reichs nach ihm suchte. Dann erst waren wir sicher vor ihm. Zumindest eine Weile lang.
    Ich beschloß, ihm fürs erste keine weiteren Fragen zu stellen. Statt dessen rückte ich neben das Mädchen. Langsam drehte sie ihr Gesicht zu mir um, und das Licht meiner Kerze fiel auf ihre verbrannten Züge. Der Anblick war noch immer entsetzlich, wenngleich die Schwellung zurückgegangen war. Nun sah es aus, als sei ihr gesamter Kopf von etwas wie Baumrinde überzogen, schorfigen Hautschuppen, zwischen denen Augen, Mund und Nase schrecklich fehl am Platze wirkten. Sie blickte mich reglos an, ohne eine Miene zu verziehen, und da erst begriff ich, daß sie es nicht konnte, selbst wenn sie gewollt hätte. Ihre Gesichtsmuskeln waren zerstört. Ihre Züge waren zu einer braunen, krustigen Maske erstarrt. Dies war das Schlimmste von allem, schlimmer noch als der Schmerz, schlimmer als der Makel ihrer Anblicks: Sie würde nie wieder lächeln können.
    Ergriffen tastete ich nach ihrer Hand und nahm ihre Finger in die meinen. Zu meinem Erstaunen ließ sie es geschehen. Mehr noch: Sie schloß für die Dauer einiger Herzschläge die Augen, als genieße sie die Berührung, statt sie nur zu dulden. Zum ersten Mal begriff ich die wahre Tragödie ihres Schicksals, und zugleich fühlte ich mich ihr enger verbunden denn je.
    Mehr als alles andere wünschte ich mir in diesem Augenblick, ihren Namen zu kennen. Mit dem Zeigefinger schrieb ich meinen eigenen in den Staub des Bodens, in der Hoffnung, sie würde ihren daneben schreiben. Doch ebenso wie alle bisherigen Versuche, sie zum Schreiben zu bewegen, blieb auch dieser erfolglos.
    Ich seufzte und wollte, wie schon so oft, auf sie einreden, doch da hob sie plötzlich die rechte Hand, streckte ihren Zeigefinger aus und setzte ihn zögernd in den Staub.
    Also doch! schrie es in mir. Sie schreibt!
    Doch das tat sie keineswegs. Ihr Finger zeichnete keine Buchstaben in den Schmutz. Vielmehr begann sie, mehrere Linien zu ziehen und miteinander zu verbinden.
    Als sie fertig war, hatten die groben Striche die Form zweier Symbole angenommen. Das eine war ein

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