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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Quadrat, auf das sie ein Dreieck gesetzt hatte, mit der Spitze nach oben. Darauf wiederum befand sich ein Kreuz.
    Die zweite Darstellung war gleichfalls ein Dreieck, an dessen Spitze ein kleiner Kreis anschloß. Neben die beiden seitlichen Schenkel hatte sie zwei weitere Dreiecke gezeichnet.
    Das Ganze sah folgendermaßen aus:
     

     
    Es gehörte nicht viel dazu, die erste Zeichnung als Kirche zu deuten. Und auch die zweite erschien mir eindeutig: Es war zweifellos ein Engel.
    Faustus hatte sich nach unserem Gespräch auf die andere Seite der Kammer gehockt und die Augen geschlossen. Mochte der Teufel wissen, wie er trotzdem bemerkte, was vorging. Plötzlich sprang er auf, eilte auf uns zu und ging neben uns in die Knie. Die Hand des Mädchens zuckte vor, um die Zeichnung im Staub zu verwischen, doch Faustus hielt sie zurück, bis er beide Symbole lange genug betrachtet hatte. Auch ihm war sofort klar, was sie bedeuteten.
    Sobald er den Arm des Mädchens losgelassen hatte, wischte ihre Hand durch den Staub und zerstörte die Zeichnungen. Einen Moment lang trafen sich unsere Blicke. Es ist schwer, aus den Augen eines anderen zu lesen, wenn sich dessen Gesicht nicht bewegt – und doch hatte ich den Eindruck, daß ein stummer Vorwurf aus ihren traurigen Augen sprach. Mir hatte sie die Symbole zeigen wollen, nicht Faustus. Ihre Enttäuschung traf mich ins Herz wie ein giftiger Dorn; sie hatte mir vertraut. Zum ersten Mal hatte sie gegenüber einem von uns etwas wie Wärme oder Nähe aufkommen lassen, doch Faustus hatte diesen zarten Moment durch sein Eingreifen zerstört. Und ich hatte nichts unternommen, um ihn aufzuhalten. Allein ich selbst trug die volle Schuld.
    Ich sah sie an, versuchte verzweifelt, ihren Blick zu halten, das unsichtbare Band zwischen uns nicht reißen zu lassen. Doch das Mädchen senkte nur den Kopf und zog sich in den Schatten der Kapuze zurück. Es war ein Rückzug in sich selbst, in eine Seele, die kaum weniger verwundet war als ihr Gesicht. Faustus hatte ihr durch seine Grobheit eine weitere Narbe verpaßt.
    Ich wollte auffahren, Faustus für sein mangelndes Feingefühl schelten, doch er kam mir zuvor.
    »Eine Kirche«, sagte er nachdenklich. »Und ein Engel.« Zweifellos hatte er nichts von dem bemerkt, was zwischen mir und dem Mädchen geschehen war. Die Lösung des Rätsels war es, die ihn beschäftigte, nichts sonst. Herrgott, was für ein grober Klotz!
    Ich faßte mir ein Herz. »Meister, ich weiß, Ihr wart dagegen«, begann ich, »und doch denke ich, es ist längst an der Zeit, ihr einen Namen zu geben. Dieses Mädchen ist ein Mensch, kein Ding, über das Ihr verfügen könnt, wann immer es Euer Verstand befiehlt.«
    Ich erschrak selbst über die Schärfe meiner Worte. Und doch fürchtete ich seinen Zorn nicht mehr. Es war längst fällig, daß ich mein Selbstvertrauen unter Beweis stellte. Stillschweigendes Kuschen lag mir nicht. Ja, ich beglückwünschte mich selbst zu meinem Wagemut. Sollte ich damit seine Wut heraufbeschwören, nun gut, dann sollte es eben so sein.
    Doch Faustus wurde nicht zornig. Statt dessen sah er erst mich, dann die verletzte junge Frau an. Mit einem Mal schien er zu begreifen, daß ich bereit war, mich ganz auf ihre Seite zu stellen. Seine Mundwinkel zuckten, als müsse er ein Lächeln unterdrücken (höchst unpassend, in einem solchen Augenblick, wie ich fand!). Doch er beherrschte sich und sagte nur:
    »Du hast wohl recht. Wir werden ihr einen Namen geben. In Anbetracht ihrer Zeichnung und Gisbrands Verdacht – was hältst du von Angela?«
    »So heißen nur Großmütter«, gab ich maulend zur Antwort.
    »Nun, dann Angelina. Das bedeutet ›die Engelhafte‹.«
    »Angelina?«
    »Ganz richtig.«
    Ich hob die Schultern. »Warum nicht…«
    Faustus nickte zufrieden.
    »Wir sollten sie trotzdem selbst dazu befragen«, gab ich zu bedenken.
    »Und wie willst du das tun?« fragte er belustigt.
    Ich beachtete ihn nicht weiter und griff erneut nach ihrer Hand. Einen Herzschlag lang spürte ich, wie sie zusammenzuckte, so, als wollte sie ihre Finger zurückziehen. Dann aber gab sie nach und schmiegte ihre Hand in die meine. Dabei blickte sie auf und sah mich an. Ihre Augen leuchteten blau wie zwei Seen inmitten einer zerklüfteten Felsenwüste.
    »Angelina?« fragte ich und deutete auf sie.
    Wieder schloß sie die Augen. Als sie sie nach einer Weile noch immer nicht geöffnet hatte, räusperte Faustus sich lautstark. Ich schenkte ihm keine Beachtung, sah nur das

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