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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wir selbst ein Flüchtling war, würden wir ihn früher oder später treffen. Sicherlich gewährte der Kurfürst aufgrund seiner Abneigung gegen die Kirche allein solchen Gästen Schutz, die den Zorn Roms auf sich gezogen hatten. Was lag demnach näher, als den Unbekannte auf unserer Seite zu vermuten?
    Wir breiteten die Decken aus und legten uns zur Ruhe. Tausend Gedanken wirbelten durch mein Hirn. Was hatte es mit Angelinas Zeichnungen auf sich? Wollte sie wirklich behaupten, sie selbst sei ein Engel? Und welche Kirche meinte sie mit ihrer einfachen Darstellung?
    Ich fragte mich, ob Faustus über ähnlichen Dingen grübelte. Wir hatten alle Kerzen bis auf eine gelöscht. In ihrem flackernden Schein betrachtete ich meinen Meister. Er lag lang ausgestreckt auf dem Rücken und hatte die Augen geschlossen. Ich vermochte nicht zu erkennen, ob er wirklich schon schlief.
    Angelina hatte sich im Gegensatz zu ihm auf die Seite gerollt und die Knie bis fast zum Gesicht gezogen. Sie wirkte hilflos und schutzbedürftig. Schatten lagen über ihren Zügen. Sie atmete ruhig und entspannt, doch je länger ich sie betrachtete, desto deutlicher durchdrang mein Blick die Dunkelheit auf ihren Zügen. Plötzlich begriff ich, daß ihre Augen offenstanden. Reglos sah sie mich an. Ich bemühte mich um ein sanftes Lächeln, doch ihr erstarrtes Gesicht war unfähig, es zu erwidern. Steif wie eine Puppe, der man die Augen nur aufgemalt hatte, lag sie da und verriet keinen ihrer Gedanken.
    Verunsichert versuchte ich Schlaf zu finden, doch es dauerte lange, ehe die Müdigkeit die Wirrnis aus meinem Schädel vertrieb.
    Und dann – mir war, als sei ich gerade erst eingeschlafen – stand plötzlich Faustus vor mir und legte sich den schwarzen Mantel um die Schultern. In einer Hand hielt er den Schlüssel.
    Erschrocken fuhr ich auf. »Wo wollt Ihr hin?«
    »Schlaf weiter, Wagner«, sagte er leise, wohl, um Angelina nicht zu wecken. »Im Morgengrauen bin ich zurück.«
    »Aber wohin wollt Ihr?« beharrte ich zu wissen.
    »Hinaus in den Wald.«
    »In den Wald?« fragte ich entgeistert. Doch dann begriff ich. »Wegen dem, was Mephisto gesagt hat? Ihr wollt die Engel sehen, von denen er zu Euch sprach.«
    Er nickte entschlossen. »Ich will wissen, was es mit diesem ganzen Gerede von Engeln auf sich hat. Gisbrand sprach davon, dann Mephisto – von unserer Angelina hier ganz zu schweigen.«
    »Und nun wollt Ihr einfach hinunter in die Wälder und nachsehen? Himmel, man wird Euch fangen. Oder Schlimmeres.«
    »Keine Angst«, entgegnete er. »So leicht fängt man einen Faustus nicht.«
    Ich sprang auf und trat vor die Tür, entschlossen, ihn nicht fortzulassen. »Das haben wir in Wittenberg erlebt, nicht wahr?« Zorn sprach aus meiner Stimme, nicht allein aus Sorge um ihn selbst. Vielmehr fragte ich mich, was aus Angelina und mir werden sollte, wenn Faustus erneut in die Klauen des Hexenjägers geriet. Ein zweites Mal würde Asendorf kaum zulassen, daß ihm sein verhaßter Gegner entwich.
    »Noch ist der Inquisitor nicht auf der Wartburg«, versuchte Faustus mich zu beruhigen. »Ich will die Stunden bis zu seiner Ankunft nutzen. Danach bleibt genug Zeit, sich hier oben zu verkriechen.«
    »Nein!« protestierte ich mit aller Schärfe. »Ihr dürft nicht gehen, Meister. Was geschieht mit Angelina, wenn Euch etwas zustößt? Sie ist auf Eure Heilkunst angewiesen.«
    »Sie erholt sich aus eigener Kraft viel schneller, als meine Künste es vermögen.«
    »Laßt mich gehen!« schlug ich ihm vor.
    »Dich, Wagner?« fragte er erstaunt. »Aber du bist mein Schüler. Wie könnte ich zulassen, daß du in dein Verderben läufst?«
    »Ist es denn weniger schlimm, wenn Ihr hineinlauft, Meister?«
    »Ich weiß mich zu wehren.«
    »Das weiß ich auch. Ich bin kein Kind mehr.«
    »Sicher«, sagte er besänftigend. »Nun laß mich trotzdem gehen.« Dabei hob er die Hand, um mich zur Seite zu schieben.
    Ich aber war schneller. Ehe er sich versah, hatte ich ihm den Schlüssel entrissen. Eilig fuhr ich herum, steckte ihn ins Schloß und öffnete. »Ihr bleibt bei Angelina«, sagte ich bestimmt. »Ihr Wohlergehen ist wichtiger als Mephistos Engel.«
    Hätte man mir nur Stunden zuvor gesagt, daß ich in diesem Ton zu ihm sprechen würde, ich hätte es voller Empörung abgestritten. Doch jetzt ging es um mehr als die gebührende Höflichkeit. Ohne ihn war Angelina verloren, davon war ich in jenem Moment überzeugt. Was ich tat, tat ich für sie.
    Faustus packte meine

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