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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Elohim, hatte der eine gesagt. Die Elohim – hebräische Schöpfungsgötter, die als Teil Gottes die Welt erschufen. Die Erzengel des Herrn.
    Augenblicklich fiel mir wieder Angelinas Zeichnung ein. Sieben Engel neben einer Kirche. Einer davon ohne Flügel.
    Und hier auf der Lichtung: Sieben Pferde, eines ohne Reiter. Sechs Menschen, die betend am Boden saßen.
    Die Wälder sind voller Engel.
    Wir rufen die Diener der Elohim.
    Angelina.
    Sie war eine von ihnen. Es gab keinen Zweifel. Sie war die fehlende Siebte. Es war kein Verdacht, keine vage Idee. Mit einem Mal erfüllte mich völlige Gewißheit.
    Wieviele waren es gewesen, die den Anschlag auf die Wittenberger Schloßkirche verübten?
    Ebenfalls sieben.
    Eine davon hatte sich den Kopf verbrannt, jene, die Faustus befreite.
    Wieder Angelina.
    Die Steine des Mosaiks fügten sich zueinander, ergaben ein erschreckendes Bild: Angelina als brandschatzender Racheengel.
    Allein eine Einzelheit machte mich stutzig. Keinem dieser Sechs wuchsen Flügel aus dem Rücken. Und doch hatte man Angelina verstümmelt. Irgend etwas war aus ihrem Körper geschnitten worden.
    Ich betrachtete die sechs Betenden genauer. Sie alle knieten leicht vornübergebeugt, so daß sich der Stoff ihrer Hemden über den Rücken spannte. Es gab dort keinen Ansatz von Flügeln.
    Trotz solcher Bedenken war ich sicher. Ich hatte Angelinas Herkunft entschlüsselt. Sie mußte einst ausgesehen haben wie diese hier: blond, hellhäutig. Sie war auf dem siebten Pferd geritten, hatte mit Schwert, Dolch und Armbrust gekämpft. Gottes Krieger auf Erden. Ein Engel.
    Ich fragte mich, wie sie uns gefunden hatten. Nein, vielmehr: Waren überhaupt wir diejenigen, die sie suchten?
    Falls nicht – konnte dieses erneute Zusammentreffen ein Zufall sein? Erst Wittenberg, dann die Wartburg. Was war die Verbindung?
    Darauf gab es drei Antworten: Die eine war Bruder Martinus.
    Die zweite Faustus.
    Die dritte war ich.
    Die sechs Männer und Frauen knieten immer noch mit geschlossenen Augen im Kreis. Ihre Münder bewegten sich lautlos in stummem Gebet. Mochten sie sich selbst auch für Engel halten, für die Werkzeuge des Herrn, so war doch etwas an ihnen, das mir angst machte. Ihre Haut und ihr Haar waren so hell, als erstrahlten sie in der Dämmerung von innen heraus. Es mochte eine Täuschung sein oder auch nicht – letztlich gab es den Ausschlag, daß ich mich zum Rückzug entschloß. Ich hatte genug gesehen. Ich würde Faustus berichten können, was Mephisto mit seinen rätselhaften Worten gemeint hatte.
    Zum Teufel, ich nahm es schon als selbstverständlich hin, daß ein Hund zu meinem Meister sprach wie ein Mensch! Oder nein, nicht wie ein Mensch; ihre Geister hatten zueinander gesprochen.
    Wie auch immer, in jenem Augenblick beschäftigten mich andere Sorgen. Ich mußte ungesehen vom Rand der Lichtung verschwinden, ohne die unheimlichen Gestalten auf mich aufmerksam zu machen. Sie sahen aus, als seien sie völlig in sich und ihre Andacht versunken. Und doch konnte ich unmöglich sicher sein, ob sie mich nicht hören würden. Vorhin als ich hierhergekommen war, hatte ihr Gesang meine Schritte im Unterholz übertönt. Jetzt aber lag geisterhafte Stille über der Lichtung und dem angrenzenden Wald. Selbst die Tiere schwiegen. Jedes Knistern, jedes Brechen eines Astes mußte weithin zu hören sein.
    Es half alles nichts. Ich mußte zurück zur Burg, so schnell wie nur möglich. Faustus mußte erfahren, was hier vorging. Er würde abschätzen können, ob uns eine Gefahr durch die gespenstischen Krieger drohte.
    Unendlich langsam zog ich die Hände zurück und sah zu, wie sich der Vorhang aus Zweigen vor mir schloß. Dann drehte ich mich vorsichtig um, machte erst einen, dann einen zweiten Schritt – und trat direkt in das Loch eines Fuchsbaus. Mein Fuß verhakte sich, ich taumelte, ruderte hilflos mit den Armen und krachte der Länge lang zu Boden. Äste splitterten unter meiner Last, und das Laub raschelte so laut, daß es mir in den Ohren sauste.
    Mit einem stummen Fluch sprang ich hoch und rannte los so schnell ich konnte. Ich sah mich nicht um. Ich mußte mich nicht vergewissern, daß sie meinen Sturz bemerkt hatten.
    Und dann hörte ich sie auch schon. Ein Mann rief hinter mir etwas auf Latein, dann schabte Stahl auf Stahl – Schwerter, die aus ihrer Umhüllung gerissen wurden. Ich war allein und unbewaffnet; sie aber waren zu sechst, noch dazu ausgerüstet, als gelte es, die Burg zu erobern. Mein einziger Vorteil

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