Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
von oben entgegenkommen? Ein Retter? Sicher nicht. Faustus, der einzige Mensch, der mir hätte zur Hilfe kommen können, saß eingeschlossen in der geheimen Dachkammer; ich selbst hatte schließlich den Zugang versperrt. Wer noch? Berlepsch? Der hatte andere Sorgen. Angelina? Für sie galt dasselbe wie für Faustus. Außerdem: Auf welcher Seite stand sie eigentlich? Schließlich war sie eine von ihnen. Fraglich, ob sie mir überhaupt helfen wollte.
Ich erreichte einen Treppenabsatz, an dem der Schacht sich zu einer schmalen Kammer ausdehnte und der Grund für einige Schritte eben war. Ich bemerkte das aber erst, als mein Fuß vergeblich nach der nächsten Stufe tastete, mit vollem Schwung ins Leere stieß und mich haltlos mit sich riß. Der Boden verschwand für einen Herzschlag unter meinen Füßen, dann war er wieder da – unter meinem Kinn. Ausgesprochen hart und schmerzhaft. Der Aufprall raubte mir fast die Besinnung. Wäre ich in der Schwärze nicht ohnehin blind gewesen, mein Blick hätte sich wohl verschleiert. So aber verlor ich für einige Augenblicke gänzlich das Gefühl fürs Oben und Unten. Mir war egal, was mit mir geschehen würde. Alles wurde bedeutungslos. Ich drehte mich ununterbrochen um mich selbst, oder glaubte es zumindest. Schwindel und Schmerz verbanden sich zu einem wilden Taumel. Ich wußte, daß ich jetzt sterben würde.
Füße stießen gegen mich. Meine Verfolger. In einer Art Halbschlaf spürte ich, daß sie stehenblieben. Ich war wehrlos und keineswegs in der Lage, etwas an diesem Zustand zu ändern. Mit enormer Willensanstrengung gelang es mir zumindest, mich auf den Rücken zu rollen. Selbst das war eine gehörige Leistung angesichts meines erbärmlichen Befindens.
Ich erwartete den ersten Schlag mit der Schwertklinge wie ein Lamm auf dem Opferstein. Sollten sie mich töten. Sollten sie mich vom Erdboden tilgen. Kaum einer würde es bemerken. Was war ich schon im Angesicht dessen, der unser Handeln bestimmt?
(Ihr, staunender Leser, kennt mich mittlerweile gut genug, um zu wissen, daß dies keine üblichen Gedanken für einen wie den Wagner waren. Ihr habt mich als mutigen, tapferen Recken erlebt, als einen, dem die Frauenherzen zuschmachten, der alles wagt, um sein Glück zu erreichen. Ihr wißt um meine Kühnheit und mein hehres Wesen ohne Fehl. Wittere ich Widerspruch? Nun, in jenem Augenblick jedenfalls, auf der geheimen Treppe unter der Wartburg, verlor ich all meine wackeren Gedanken, das muß ich zugeben. Doch bemerkt Ihr meine List? Ich gestehe eine Schwäche, um in noch hellerem Lichte vor Euch zu erstrahlen!)
Ich lag da und erwartete den Tod.
Plötzlich klirrte es über mir, kreischend laut und metallisch. Eine Handbreit vor meinem Gesicht sprühten Funken. Ihr Flackern tauchte die Kammer einen Herzschlag lang in Zwielicht. Der Augenblick war schnell vorüber. Und doch hatte ich etwas gesehen. Gleich über mir kreuzten sich Schwerter. Vor mir dräuten zwei Gestalten, wohl die beiden Engelkrieger. Hinter mir stand eine dritte Person. Jemand, der seine Klinge schützend über mich gehalten hatte, als meine Gegner zum Todesschlag ausholten.
Dann, ehe ich irgend etwas begriff, entbrannte ein wilder Schwertertanz, direkt über meinem Kopf! Klingen schlugen aufeinander, grelle Funken sprühten. Weiter Stoff rauschte mir um die Ohren. Gedankenschnell rollte ich mich zur Seite, plötzlich von neuem Lebensdrang erkühnt. Vorbei war aller Gleichmut. Leben wollte ich, wollte sehen, wie man meinen Feinden den Garaus machte – wer auch immer dabei die Waffe führte. Zugegeben, vom Sehen und vom Garaus der Feinde war ich um einiges entfernt. Noch tobte der Kampf, und noch herrschte völlige Finsternis. Mit welchen Sinnen die Kämpfer zueinanderfanden, blieb mir ein Rätsel. Alles, was ich wahrnahm, war ein Rausch aus Bewegung. Ständig streiften mich Füße und Körper. Die Funken der wirbelnden Klingen erglühten um mich her wie ein Feuerwerk. Meine größte Furcht war, daß ein verirrter Schwerthieb seinen Weg zu mir finden könnte. Doch schienen die drei Kämpfenden – zwei gegen einen – ihr Handwerk gut zu verstehen. Keiner schien blind um sich zu schlagen, in der schalen Hoffnung, einen anderen zu treffen. Nein, dieser Kampf wurde gezielt geführt, trotz der Dunkelheit, trotz der beengenden Kammer.
Inmitten dieses Wirbels aus klirrendem Tod schob ich mich auf dem Bauch bis zur nächstbesten Felswand. An ihr drückte ich mich entlang, bis ich den Treppenaufgang erreichte.
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