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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sind sie? Und wo überhaupt bist du?
    Ich will Euch die Einzelheiten meines nächtlichen Irrwegs ersparen. Nur soviel sei gesagt: Ich umrundete den Berg ein ganzes Mal, und erst als am Horizont die Dämmerung aufstieg wie Nebeldunst an einem Herbstmorgen, wurde ich endlich fündig.
    Gerade verfluchte ich zum hundertsten Male mein elendes Geschick, da vernahm ich plötzlich Laute. Ich befand mich bereits auf meiner zweiten Runde um die Wartburg und war nur noch einige Dutzend Schritte von dem Weg entfernt, der die Festung mit der Stadt verband. Der Wald schien sich dort nur widerwillig zu teilen, denn allerorts ragten vorspringende Zweige über die schmale Straße, die einem Reiter bei mangelnder Vorsicht durchaus zur Gefahr werden konnten. Ich wußte noch von unserer Ankunft her, daß sich der Weg ein ganzes Stück vor dem Burgtor gabelte. Während der eine Arm hinauf zur Rampe führte, verschwand der andere als schmaler Pfad im Dickicht. Diesen zweiten Weg mußten die sechs Männer und Frauen auf ihren Pferden eingeschlagen haben, denn ich entdeckte ihr Lager nahebei auf einer kleinen Lichtung.
    Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre auch ein zweites Mal achtlos daran vobeigestolpert. Was meine Aufmerksamkeit erregte, war das leise Singen, das durch die Büsche an meine Ohren drang. Mehrere Stimmen sangen unverständliche Strophen. Erst als ich näher an die Quelle des unheimlichen Singsangs heranschlich, bemerkte ich, daß die fremden Silben lateinische Worte formten. Mehr noch, es war ein Lied, das ich selbst einst in der Kirche gelernt hatte. Wer aber saß zu so früher Stunde im Wald und erging sich in frommen Gesängen?
    Obgleich mein Herzschlag sofort zu rasen begann, mochte ich doch nicht glauben, daß wahre Engel, immerhin Gottes Krieger auf Erden, nichts Besseres zu tun haben sollten, als sich am Fuße der Wartburg im Unterholz zu versammeln. Noch dazu, um zu singen. Nein, hier mußte – ganz buchstäblich – anderes im Busche sein.
    Behutsam schob ich mich näher an den Rand der Lichtung, durch Dornenranken und mannshohe Farnsträucher. Schließlich teilte ich mit beiden Händen den Vorhang aus Zweigen und Blättern und blickte heimlich auf das, was sich vor mir befand.
    Das halbe Dutzend Menschen kniete in einem Kreis zwischen überwucherten Baumstämmen, Findlingen und Waldbeersträuchern. Auf den ersten Blick sahen sie alle völlig gleich aus. Jeder trug schulterlanges Haar, blond, fast weiß. Ihre Körper waren überaus schlank. Sie waren in schwarze Hosen und Hemden gekleidet, auch die beiden Frauen, die ich unter ihnen erkannte. Die übrigen vier waren Männer, wenngleich es eine Weile dauerte, ehe ich die Unterschiede bemerkte. Sie alle hatten schneeweiße Haut, als hätte sie jahrelang kein Sonnenstrahl berührt.
    Sie hielten die Hände gefaltet und die Augen geschlossen und waren völlig versunken in ihre Gesänge. Schließlich kamen sie zum Ende. Einer erhob seine Stimme und rief auf Lateinisch:
    »Wir rufen die Diener der Elohim. Wir rufen Ghob, König der Gnomen. Wir rufen Diin, König der Salamander. Wir rufen Niksa, König der Undinen. Und wir rufen Paralada, den König der Sylphen.«
    Was immer sie erwarten mochten – keiner der genannten vier spazierte aus dem Unterholz.
    Statt dessen versanken die sechs Betenden nun in andächtige Stille. Ich nutzte die Zeit und sah mich aufmerksam um. Ihre Pferde standen unweit der Lichtung am Waldrand, festgebunden an Zweigen und Stämmen. An ihren Sätteln hingen lange, schmale Schwerter mit feinverziertem Handschutz, außerdem Wurfdolche und kleine, handliche Armbrüste. Es sah aus, als zögen die Reiter in einen Krieg. Dabei fiel mir etwas Ungewöhnliches auf: Obwohl nur sechs Männer und Frauen zu sehen waren, besaßen sie doch sieben Pferde. Das überzählige konnte keineswegs ein Lastentier sein, denn alle sieben waren gesattelt und mit gleicher Bewaffnung bestückt. Sogleich sah ich mich angstvoll um, ob ich etwa eine dieser Gestalten übersehen hatte, einen Wachtposten vielleicht, der sich mir nun von hinten näherte. Doch da war niemand. Der seltsame Betzirkel auf der Lichtung schien sich in Sicherheit zu wiegen. Trotzdem blieb ich vorsichtig. Es mochte gut sein, daß der Siebte lautlos durch die Wälder schlich. Und obgleich es sich bei den Männern und Frauen um fromme, gottesgläubige Menschen handeln mochte, jagte mir ihre stille Demut und der Klang der fremden Namen, die sie angerufen hatten, Furcht ein.
    Wir rufen die Diener der

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