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Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Mitternacht.

4. Kapitel
      
    Rätselhaft raunte der Fluss in der Dunkelheit. Der Mond streute sein Licht wie Silbermünzen über die Oberfläche. Auf der anderen Seite des Tibers flackerten noch vereinzelt Kerzenschein und Kaminfeuer in den Fenstern, doch hier, am Fuß der Engelsburg, gab es kein Zeichen von Leben. Der schlammige Uferstreifen war verlassen – bis auf eine einsame Gestalt, die sich jetzt aus den Schatten der Festungsmauern löste und herab ans Wasser trat.
    Faustus beugte sich vor, streckte Daumen und Zeigefinger ins seichte Uferwasser und zerrieb die Feuchtigkeit zwischen seinen Fingerspitzen. Er berührte sie mit der Zungenspitze, schmeckte mit anderen Sinnen als gewöhnliche Menschen und runzelte die Stirn. Sonderbar. Dieser Geschmack, wie von …
    »Faustus!«
    Mit wirbelndem Gewand drehte er sich um. Ein Lächeln erschien auf seinem hageren Gesicht. »Massimo«, entfuhr es ihm erleichtert.
    Ein Mann war wie aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht und kam jetzt näher.
    Der Boden war an dieser Stelle steinig und mit Flechten überwachsen. Der runde Koloss der Engelsburg erhob sich über ihnen wie ein eherner Wachtposten. Falls Soldaten auf ihren Zinnen standen, konnten sie die beiden Männer im unbeleuchteten Dunkel des Ufers unmöglich sehen. Nicht weit von hier klaffte ein niedriger Torbogen im Mauerwerk. Dahinter lag nichts als dräuende Schwärze. Da es keine Torflügel gab, nahm Faustus an, dass es sich um einen blinden Unterstand handelte. Vermutlich endete er nach wenigen Schritten vor einer Mauer.
    Massimo Pamphili war kleiner, als Faustus ihn in Erinnerung hatte – und älter. Sehr viel älter. Die Amtszeiten von vier Päpsten, jeder auf seine Art irrsinniger als der vorherige, hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Seine Wangen hingen genauso schwer wie seine Tränensäcke, und seine Nase war rot und stark geädert, ein Hinweis auf zu viel guten Wein. Faustus erinnerte sich, dass Pamphili schon früher viel getrunken hatte, und manches ihrer Gespräche hatte in wüstem Rausch geendet. Was dem Bibliothekar jedoch tatsächlich den Anschein eines Alters gab, das er an Jahren gar nicht innehatte, waren seine Augen. Müde Augen.
    »Faustus, mein Freund«, sagte er und umarmte den Doktor. Ein ungesundes Krächzen lag in seiner Stimme. »Du hast dich nicht verändert … So hast du also damals die Wahrheit gesagt über das, was in Ägypten geschehen ist.«
    Faustus lächelte. »Du hast doch nie ernsthaft daran gezweifelt.«
    »Nicht, nachdem ich dich besser kannte. Nein, ganz gewiss nicht.«
    Noch immer lagen Pamphilis Hände an Faustus’ Oberarmen, so als könne er nicht fassen, dass der Doktor ihm tatsächlich gegenüberstand. »Du weißt, warum ich hier bin.«
    »Du kommst gleich zur Sache. Das hattest du mir schon damals voraus. Kein Sinn für Schwatz.«
    »Falls der Papst wirklich weiß, dass ich in Rom bin, werde ich mich nicht lange vor ihm verstecken können.« Dabei strich Faustus’ Blick an der trutzigen Mauer der Engelsburg hinauf, finster und bedrückend am Westufer des Tibers.
    »Hier wird dich niemand suchen«, versicherte ihm der Bibliothekar. »Wir sind hier nur ein paar Speerwürfe vom Papstpalast entfernt. Der Papst würde dich viel zu gerne in den Kerkern der Engelsburg sehen, als dass er hier nach dir suchen würde. Keiner geht freiwillig so nah an dieses Gemäuer heran. Die Menschen fürchten die Burg. Aus gutem Grund.«
    »Die Kerker sind immer noch voll?«
    »Bis zum Überquellen. Es gibt Massenhinrichtungen, um Platz in den Verliesen zu schaffen.«
    »Böse Zeiten.«
    Pamphili stieß einen tief empfundenen Seufzer aus. »In der Tat.«
    »Nun, Leo mag kein guter Papst sein, aber gewiss ist seine Herrschaft nicht so schrecklich wie die des verruchten Borgia«, wandte Faustus ein.
    »Meinst du?« Pamphili hob eine Augenbraue; es sah aus, als fiele ihm selbst das schwer, als ziehe das Gewicht der Tränensäcke seine Lider nach unten. »So unglaublich es klingen mag, aber es war vieles besser unter Alexander. Oder sagen wir, geordneter.«
    »Ich glaube nicht, dass irgendwer den Borgia vermisst.«
    »Mehr als du denkst«, widersprach der Bibliothekar. »Weit mehr.«
    »Warum sollte sich irgendwer nach ihm zurücksehnen?«
    »Weil die Dinge damals eine gewisse Klarheit besaßen.«
    »Alexander Borgia war ein Wahnsinniger!«
    »Unbestritten. Aber sein Wahn folgte Mustern, die man durchschauen konnte. Seine Nachfolger dagegen … Nach außen hin mag manches besser,

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