Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
vordergründiges Schielen auf den Preis, sondern absoluten Vorrang für Qualität, Optik, Geruch und Herkunft. Ein Berühren, Abwägen, Riechen, Gustieren, Verkosten und lange Gespräche mit den Erzeugern und Händlern. Und vor allem nahm ich mir Zeit. Zeit für die Besorgungen, Zeit für die Zubereitung, Zeit für den Genuss, Zeit zur Freude über eine neue gelungene Köstlichkeit.
Früher hatte ich das Rauchen als besonderen Genuss empfunden, dem ich vieles, fast alles unterordnete, auch das Essen. Dank Slow Food konnte ich nun die alte, vermeintliche gegen eine neue, wirkliche Genusswelt tauschen.
Essen als zutiefst sinnlichen Akt zu sehen, der unbedingt Zeit braucht, war in der Tat die Idee, nach der ich gesucht hatte, seit die letzte Zigarette zwischen meinen Fingern verglommen war und ich mich permanent fragen musste, womit ich die verlorene Lust jemals ersetzen könnte.
Jetzt wusste ich es.
Vorbei die Zeit, in der ich wahllos in mich stopfte, was mir in die Finger kam, kaum Umstände machte und schnell zu essen war, so dass ich möglichst bald Mund und Hände wieder frei hatte, um ungestört weiterrauchen zu können. In der in vielerlei Hinsicht verheerenden Zeit meiner absoluten Nikotintreue scheute ich nicht einmal davor zurück, im Restaurant, wenn der Service einmal länger dauerte, zwischen den einzelnen Gängen zu rauchen – ein Fauxpas der Sonderklasse.
Jetzt war ich in eine Bewegung eingebettet, die mir eine neue Sinnlichkeit, eine neue Ruhe und Gelassenheit verschafft hatte, die mir guttat und der ich mich schon sehr verpflichtet fühlte – zur Wahrung meines Rechts auf Genuss und zum Wohle meiner Umwelt.
Die Verkostung der Spezialitäten vom Mangalitza Schwein erwies sich übrigens für die Organisatoren als voller Erfolg und für mich als wahre Gaumenfreude.
Das Sonntagsbraten-Revival
Es tut sich immer etwas bei Slow Food und immer geht es um nichts Geringeres als um unser Essen, um dessen Herkunft, Qualität, Zubereitung und Genuss. Und da sich die Mitglieder des Conviviums der regionalen Tradition verpflichtet fühlen, leisten sie unermüdlich Überzeugungsarbeit und versuchen zu retten, was noch zu retten ist, zum Beispiel den Sonntagsbraten!
Wie sagte doch Petrini anlässlich der Gründung von Slow Food? – Wir müssen uns wieder Zeit nehmen, uns mit allen Sinnen und ohne Eile unseren Speisen widmen und Gemeinschaft pflegen, denn Essen bedeutet viel mehr als bloß den Hunger zu stillen.
Wie könnte man dieser Forderung besser nachkommen als mit einem köstlichen Braten?
Und so herrscht an manchen Sonntagen, zu einer Zeit, wo andere sich noch genüsslich im Bett räkeln, bereits geschäftiges Treiben im Convivium. Eine verschworene Truppe Gleichgesinnter macht sich in einem eigens für diesen Zweck okkupierten Lokal unter der Leitung eines ebenfalls Slow Food bewegten Kochs hochmotiviert an die Zubereitung eines Genusses der Extraklasse.
Da wird gehobelt, gehackt, geschnitten, geschmort, gebraten, gekostet, gewürzt, wieder gekostet, gerührt, geknetet – und das Ergebnis dieser gemeinsamen Bemühungen Stunden später gemeinsam genossen, selbstverständlich mit der passenden Weinbegleitung.
Wäre nicht Slow Food, würde man nicht zum Besten greifen, was die Region zu bieten hat. Daher kommt in meiner Gegend vorzugsweise ein Braten vom Waldviertler Blondvieh, vom Weinviertler Bio-Weiderind oder Strohschwein auf den Tisch, während es den Rettern des Sonntagsbratens in deutschen Landen vor allem das Hinterwälder Rind aus dem Südschwarzwald und das Bunte Bentheimer Schwein aus Niedersachsen angetan haben.
Auch bei den Beilagen werden hier wie dort keine Mühen gescheut, das Geschmackserlebnis zu garantieren. Kraut oder Kohl, Knödel oder Klöße, da werden alte Rezepte ausgegraben, ebenso wie seltene Erdäpfelsorten, und man rührt gerne mal ein Püree von der Pastinake, der Süßkartoffel, dem Kürbis oder dem Sellerie.
Und wenn dann alle um den Tisch sitzen, vor den dampfenden Schüsseln, wird der Lohn der Arbeit sichtbar, Freude breitet sich aus und dem Genuss steht nichts mehr im Wege. Das ist eben Slow Food.
Schatzkästchen der besonderen Art
Wer erinnert sich nicht voller Nostalgie an die Schatzkästchen der Kindheit, zerbeulte Dosen, abgegriffene Schachteln – je unauffälliger, desto besser – in denen wir alles horteten, was wir liebten, ein Sammelsurium von Andenken, bunt zusammengewürfelter Kram. Ein glitzernder Glassplitter, eine schillernde Feder, schimmernde
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