Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
Schlussstrich ziehen müssen, um überhaupt eine Chance zu haben, es zu schaffen. So wie ich die Sache angelegt hatte, würde eine einzige Zigarette, die ich jetzt wieder rauchte, bedeuten, dass mein Vorhaben gescheitert wäre und ich mit meinem Erfolgsprotokoll wieder bei Null beginnen müsste.
Er sah das allerdings anders und versicherte mir, es wäre für ihn völlig belanglos, ob ich jetzt vielleicht ab und zu eine rauchte oder nicht. Das war zwar großzügig gedacht, für meinen Geschmack aber zu unverbindlich, und daher in meinem Fall nicht zielführend. Da blieb ich schon lieber bei meinem Totalverzicht. So hart es auch klingen mag, damit fühlte ich mich auf der sicheren Seite, denn selbst heute noch würde ich wohl binnen kürzester Zeit wieder zwei Päckchen am Tag verrauchen, wenn ich mich auch nur zu einer einzigen Zigarette hinreißen ließe.
Das wollte ich auf keinen Fall riskieren und so hielt ich mich mehr denn je an die kulinarischen Genussmomente und mein tägliches Geplänkel mit dem Barockengel.
Naschen? – Und ob!
Ein Löffelchen hier, ein Stückchen dort, ein Häppchen da … Nichts Schöneres, als sich von Zeit zu Zeit an kleinen Leckereien zu erfreuen. Nun dürfte aber weitgehend bekannt sein, dass alles, was wirklich schmeckt, entweder viel Fett oder viel Zucker enthält, oft sogar beides – also nicht unbedingt die ideale Waffe, um den Barockengel zu verjagen. Daher war eine gewisse Vorsicht ratsam. Andererseits kamen für mich natürlich auch keine todtraurigen Diät-Menüs in Frage, die pure Unlust verbreiten, und schon gar nicht eine dieser Crash-Diäten, bei denen man das Essen vorübergehend fast gänzlich einstellt. Nein, danke!
Um dem Barockengel einen würdigen Kampf zu liefern, brauchte es entschieden mehr als zweieinhalb Gurkenscheiben auf einer Reiswaffel oder ein salzarmes Süppchen, so dünn, wie man selbst gar nicht werden wollte. Und Naschen musste natürlich erlaubt sein!
Nun war ich ja nicht unbedingt kompetent in Sachen Naschen und meine Erfahrung auf dem Gebiet zwar lustvoll, sehr lustvoll sogar, aber auch selten. Seit der Zeit, als ich unter der Regie meines Vaters die Verstecke meiner Mutter für Keksdosen aller Art aufzuspüren lernte, hatte Naschen für mich etwas Heimliches, Konspiratives an sich, mit einem Hauch von Sünde und dem Risiko, erwischt und bestraft zu werden, wenngleich wir auch nur mit einem eher halbherzig ausgesprochenen Tadel rechnen mussten, falls unsere Missetat auffiel.
Jeden Advent, wenn wir Jagd auf Vanillekipferln machten, erlebte ich dieses köstliche Vergnügen am heimlichen Genuss in Gesellschaft meines Lieblingskomplizen. Aber abgesehen von diesem vorweihnachtlichen Lustspiel war ich kaum auf Süßes erpicht und tat mir, besonders solange ich rauchte, mit dem Vermeiden kulinarischer Extragelüste ziemlich leicht und war daher nur selten in Gefahr, unkontrolliert zuzugreifen.
In letzter Zeit konnte es allerdings schon vorkommen, dass ich zwischen zwei Mahlzeiten Lust auf eine klitzekleine Belohnung verspürte, vor allem nach dem Sport. In diesem Fall bewährte sich stets folgende Taktik: Wasserspeicher wieder auffüllen und cool bleiben. Erst musste der Durst gestillt werden, denn das nahm dem Moment seine Brisanz und gab mir Zeit zu überlegen, womit ich mein Herz erfreuen konnte, ohne den Barockengel über Gebühr zu reizen.
In den Fachmedien fanden sich jede Menge Tipps für ein risikoloses Naschen, wobei sich die Autoren darin einig waren, dass die Portionen klein bleiben müssen. Und sie lieferten auch gleich allerlei Vorschläge, die aber nicht unbedingt immer meinem Geschmack entsprachen.
Eine halbe Handvoll Gummibärchen – das war wirklich das Letzte, wonach mein genussorientierter Gaumen lechzte! Zwei bis drei Kekse – welch traurige Aussicht! Ein kleiner Getreideriegel vielleicht oder ein Säckchen getrockneter Apfelringe … Und wenn schon Schokolade, dann bitte nur die ganz, ganz dunkle, bittere – und nicht die helle, besonders süße, besonders fette, die so schön zwischen den Fingern schmilzt …
Da musste ich mir wohl etwas anderes suchen!
Beeren und andere süße Früchtchen, frischgepresste Säfte, selbst gemachte Joghurts und Topfencremen im Kleinformat, ein paar Nüsse von Zeit zu Zeit … Damit brachte ich mein Streben nach Lustgewinn problemlos über die Nachmittagspause und konnte mich bald wieder ungestört meiner neuesten Rezeptkreation widmen.
Die Erste war immer die Beste
Am Pfingstsonntag
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