Die neue Lustschule
damit nicht die Kontrolle über die frühe Bedrohung geschwächt wird. Desgleichen bedeuten eine verbindliche Bindung und intime emotionale Nähe beängstigende Beziehungserfahrungen, die die notwendige Abwehr der Frühbedrohung unterlaufen können. Deshalb bleibt der «Borderliner» auf misstrauischer Distanz und lebt seine Sexualität in häufig wechselnden, unverbindlichen Beziehungen aus. One-Night-Stands und Promiskuität sind die geeigneten Beziehungsformen, um die frühe Beziehungsdistanz zu reinszenieren und zugleich das lauernde Bedrohungsgefühl in Schach zu halten. Auch Prostituierte können mit dieser Frühstörung ihr Geschäft gut betreiben – beziehungsloserSex mit Fremden! Dabei gewährt das Kondom nicht nur Infektionsschutz, sondern auch Berührungsschutz. Beziehungsloser Sex ist also keine sündige Abartigkeit, sondern eine Notlösung infolge früher Existenzbedrohung. Sexualität ist und bleibt eine Notwendigkeit; um aber keine zusätzlichen Störungen zu provozieren, muss sie möglichst beziehungsarm gelebt werden. Der Ausgleich wird dann nicht selten in der gesteigerten Häufigkeit sexueller Begegnungen und in besonders intensiven oder «perversen» Praktiken gesucht. Die Sexualität und das Beziehungsgeschehen bleiben dennoch meistens mit Misstrauen, Realitätsverzerrung sowie emotionaler Instabilität belastet. Die Betroffenen sind rasch gekränkt und verletzt. Bemerkungen des Sexualpartners werden oft missverstanden. Misstrauen verzerrt die Wahrnehmung, der «Bedrohte» reagiert mit seinen abgelagerten Erfahrungen und nicht realitätsbezogen. Ein Blick, eine Geste, ein Wort können irrationale Wirkungen auslösen, die für den Beziehungspartner völlig unverständlich bleiben. Ein Frühbedrohter kann urplötzlich panisch oder hassvoll reagieren, auf diese Weise die intime Stimmung zerstören oder mit einer aggressiven Abwehrbewegung ein zärtliches Zusammenkommen unmöglich machen. Das Geschehen bleibt stets unberechenbar, auch widersprüchlich und lässt sich oftmals nur begrenzt aufklären und steuern. Für den Umgang mit einem so schweren Schicksal muss man wissen, dass liebevolle Nähe eine enorme Bedrohung der Abwehr der früh erlebten Ablehnung bedeuten kann und deshalb vermieden oder angesichts zu aufdringlicher Zuwendung unbedingt zerstört werden muss. Deshalb ist der Sex häufig auch nur kurz, heftig, ohne großes Vor- oder gar zärtliches Nachspiel. Die Beziehungslust fällt im Grunde aus, während die Körperlust gebremst und gequält wirkt.
Betroffene, denen trotz alledem eine etwas nähere Beziehunggelingt, müssen darin meistens die Sexualität ausschließen, um nicht zu viel intime Verbundenheit zuzulassen. Es heißt dann etwa: «Wenn ich jemandem näherkomme, ist Sex nicht mehr möglich.» Oder: «… habe ich keine Lust mehr auf Sex.» Oder: «… stirbt die erotische Anziehung.»
2.
Muttermangel
bedeutet in erster Linie Liebesmangel. Die Einstellung der Mutter zum Kind lautet: «Du darfst leben, aber ich habe keine Zeit (Liebe) für dich. Ich bin zu sehr mit mir, meinen Wünschen und Problemen befasst und suche in Berufsarbeit Ablenkung und in Karriere Anerkennung.» Viele Mütter müssen aus finanziellen Gründen arbeiten gehen, das werden Kinder auch einsehen. Später werden sie ihre Mutter, die ja auch Großartiges geleistet hat, mit allen Mitteln verteidigen, doch das ändert leider nichts an der Erfahrung des Muttermangels. Die soziale Realität der Mutter und die Bedürfnislage des Kindes, das bleiben zwei Welten: Der Mangelschmerz lässt sich nicht durch gute Gründe wegdiskutieren.
Aber auch jene Mütter, die aus Sorge um das Wohl des Kindes zu Hause bleiben, um dessen Betreuung selbst zu übernehmen, ersparen ihrem Kind nicht unbedingt die Erfahrung des Muttermangels. Das gilt für den nicht seltenen Fall, dass die Sorge der Mutter mehr der eigenen narzisstischen Bestätigung dient als dem Kind, zu dem Zweck, sich und anderen zu beweisen, was sie doch für eine gute Mutter ist. Nach außen hin kann dies wie optimale mütterliche Betreuung aussehen, aber das Kind, das nur Objekt der mütterlichen Bestätigung und nicht Subjekt der Betreuung ist, empfindet es völlig anders. Nicht, was real getan wird, sondern die innere Einstellung zum Kind ist für dessen Wohl entscheidend. Das Kind wird sich dann in der Tiefe nicht verstanden fühlen und in aller Regel glauben, es sei nicht liebenswert, weil es die Zuwendungsproblemeseiner Mutter natürlich nicht
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