Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
berührt. »Du verstehst doch, was ich damit meine?«, vergewisserte sie sich.
Marie nickte langsam. »Ich soll die Geliebte eines reichen, adeligen Mannes werden.«
»Ganz recht. Widerstrebt dir dieser Gedanke? Nun, wir können morgen noch immer zur Gräfin de Willette gehen. Ich bin sicher, dass sie dich als Hausmädchen aufnehmen würde.«
Marie ging auf diese Worte nicht ein. Ihre Gedanken beschäftigten sich bereits mit dem Kern der Angelegenheit. Deshalb sollte sie also Jungfrau sein. Der Vorschlag der Marquise ernüchterte sie. Sie hatte sich in den letzten Tagen in Träumen verloren und fand sich jäh in der Realität wieder. Einer Realität, in der die Seidenkleider und Juwelen aus ihren Träumen zum Greifen nah waren.
Sie erinnerte sich an Leon, an seine Küsse und an seine Berührungen. Nichts davon war ihr unangenehm gewesen. Aber sie hatte den Eindruck gewonnen, dass ihm die Sache bei weitem wichtiger war als ihr selbst. War das der Unterschied zwischen Männern und Frauen? Konnte sie diese Tatsache wirklich für sich und ihre Ziele ausnutzen? Waren Männer so leicht zu gängeln?
Sie würde es ausprobieren. Wenn es so einfach war, wenn sie nur einen Mann zwischen ihre Schenkel lassen musste, um schöne Kleider und ein sorgenfreies Leben zu bekommen, dann würde sie das tun - ohne lange zu überlegen. Und sie würde dafür sorgen, dass es der richtige Mann war. Nie wieder wollte sie Kälte in ihren Zehen spüren, und Hunger sollte nie wieder in ihre Eingeweide schneiden. Nie wieder sollten Rücken und Schultern von der schweren Arbeit auf den Feldern schmerzen. Nie wieder sollte sich jemand wie Antoine und seine dahergelaufenen Freunde über sie lustig machen.
Sie war in Paris. An der Quelle von Macht und Geld. Eine Quelle, die auch für sie sprudeln würde, wenn sie es richtig anstellte.
Entschlossen drückte sie die Schultern durch. »Ihr könnt der Gräfin de Willette Bescheid geben, dass sie sich ein anderes Hausmädchen suchen soll.«
»Gut. Du bist ein kluges Mädchen, Marie. Deine Schönheit wird dir alle Türen öffnen, ich habe einige Mädchen vor dir ihr Glück machen sehen. Morgen kommt die Schneiderin, sie wird dir einige passende Gewänder anfertigen, die du auf den Soireen und Empfängen tragen wirst, die wir gemeinsam besuchen werden. Von heute an bist du meine verwaiste Nichte aus der Provinz.«
Marie lächelte verschmitzt. »Und Ihr, Marquise, Ihr seid meine allerliebste Tante.«
Die Marquise überwachte den Besuch der Schneiderin. Sie erteilte genaue Befehle, was den Schnitt und den Stoff der Kleider betraf. Beides hatte schlicht und ohne unnötigen Zierrat zu sein, und das Dekollete ließ der herrschenden Mode nach die Schultern sowie einen Teil des Rückens frei.
Marie wagte nicht daran zu denken, was ihre Mutter gesagt hätte, wenn sie ihr so unter die Augen getreten wäre, mehr nackt als angezogen. Doch dann konzentrierte sie sich darauf, dass Trou-sur-Laynne samt seiner Einwohner weit und endgültig hinter ihr lag. Vor ihr breitete sich dagegen der Weg in eine strahlende Zukunft aus.
Als die Schneiderin gegangen war, drehte sich Marie, nur in Hemd und Unterröcken, zur Marquise um. »Madame, ich bin Euch für diese wunderschönen Kleider zu unendlichem Dank verpflichtet.« Verlegen setzte sie hinzu: »Ich habe nicht das Geld, dafür zu bezahlen.«
Die Marquise lachte. »Ach, das weiß ich doch, mein Kind. Allerdings erhöht die richtige Verpackung den Wert der Ware, eine gute Investition also.«
Den Wert der Ware. Marie ließ sich nicht anmerken, dass sie diese Worte bis ins Innerste trafen. Hier galten nicht jene Maßstäbe, die man ihr beigebracht hatte, und je schneller sie sich an diese neue Welt gewöhnte, desto erfolgreicher würde sie in ihr sein. Sie straffte sich und lächelte.
Die Marquise erhob sich aus dem mit grünem Samt bezogenen Sessel und trat auf sie zu. »Zu etwas anderem. Deine Jungfernschaft steht zwar fest, aber um die nächsten Schritte planen zu können, ist es nötig, dass du mir sagst, in welchem Ausmaß du dich bisher mit Männern abgegeben hast.«
»Madame, Ihr wisst doch ...«
»Die Wahrheit, Marie«, unterbrach sie die Marquise.
Marie senkte den Kopf. »Es gab nur einen, mit dem ich getändelt habe«, sagte sie leise.
»Gut. Erzähl mir davon, jede Einzelheit ist wichtig. Was hast du alles mit ihm getan? Keine falsche Scham, mein Kind, ich muss es wissen.« Nach dem Eklat im Palais Collignard war sie zum Entschluss gelangt, tiefer
Weitere Kostenlose Bücher