Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
mit verschiedenen Vorlieben einhergingen.
Im salon de porcelaine sollte sie eine Zofe sein, die ihm heiße Schokolade reichte. Im chambre Tassioux spielte sie die Rolle einer aus einem Harem geflüchtete Sklavin, und im cabinet de Minerva eine Diebin, die er bestrafen musste.
Sie erfreute sich an diesen Spielchen ebenso wie der König und begann sich neue Szenarien für ihre Begegnungen auszudenken. Mit Bedauern stellte sie fest, dass es zu kalt für den Park wurde und ihre Rolle als charmante Schäferin auf das nächste Jahr warten musste.
Der Winter in Versailles offenbarte alle Baumängel des nach außen hin so perfekt wirkenden Schlosses. Die Fenster und Türen schlossen schlecht. Wurden die Ritzen nicht mit Stoffstücken zugestopft und die Fenster nicht mit dicken Vorhängen verhängt, holte man sich eine Erkältung nach der anderen. Die hohen Räume zu heizen, verschlang Unsummen an Holz, dessen Preis in astronomische Höhen kletterte.
Marie, die längst festgestellt hatte, dass das Vermögen, das sie von den Pfandleihern für die Schmuckstücke des Königs erhielt, von alltäglichen Aufwendungen wie Kleidern, Schuhen, Hüten, Pomaden, Parfums und Bestechungen aufgefressen wurde, blickte der Kälte mit bangen Augen entgegen. Sie hatte einen Pelzumhang in Auftrag gegeben, für den sie sich in Schulden stürzen musste. Sie rechnete damit, dass der König ihr zu ihrem neunzehnten Geburtstag etwas besonders Wertvolles schenken würde und sie damit die Schulden begleichen konnte.
Doch dieses Kalkül schlug fehl, denn der König schenkte ihr gar nichts. Der König gratulierte ihr nicht einmal, und das, obwohl sie ihn mehrmals unauffällig darauf hingewiesen hatte, an welchem Tag ihr Geburtstag war.
Also blieb ihr nichts übrig, als den Auftrag für den Pelz zurückzunehmen und an ihrem Geburtstag in eine Decke gewickelt in das schwache Kaminfeuer zu starren. Fanette schenkte ihr ein selbst besticktes Haarband, aber auch das konnte Marie nicht aus ihrem Trübsinn reißen. Zum ersten Mal überkam sie ein Gefühl der Einsamkeit. Hier, inmitten all der Pracht und der üppigen, reichen, vornehmen Welt, fühlte sie sich ausgestoßen und allein.
Der Adel schnitt sie wegen ihrer Herkunft, daran änderte auch nichts, dass ihre Beziehung zum König ein offenes Geheimnis war. Mädchen, die hier in Versailles die Begleiterinnen, die petites amies von Prinzen und Herzögen waren, wechselten oft und schnell. Zu schnell, als dass sich daraus wahre Freundschaft hätte entwickeln können. Man traf sich zu Karten und Brettspielen, zu gemeinsamen Ausflügen, doch eine innere Verbundenheit entstand nicht. Aber natürlich küssten sich die Mädchen täglich auf die Wangen und beteuerten immer wieder, wie glücklich sie sich im Kreise ihrer Freundinnen fühlten. Marie bildete da keine Ausnahme.
Zu allem Überfluss hielt La Vallière ihren Platz bei Hofe mit eisernen Krallen fest. Marie verstand nicht, was den König an ihr reizte, sie war eine farblose Person, die häufig betete und stolz ihren wieder einmal dicken Bauch vor sich hertrug. Sie hinkte und senkte demütig den Blick, wenn der König das Wort an sie richtete, und gab sich bescheiden. Dennoch saß sie bei Festen in seiner Nähe, und wenn die Königin fernblieb, sogar neben ihm.
Im Gegensatz zu Marie war La Vallière natürlich gerngesehener Gast bei den intimen, kaum fünfzehn Personen umfassenden Dînés im Trianon. Hätte sich Marie nicht eines Nachmittags heimlich in das kleine Schlösschen geschlichen, sie wüsste bis heute nicht, wie es dort aussah. La Vallière wurde am Hof mit Achtung und Respekt behandelt, während Marie in einer Ecke stand und die Vorgänge aus schmalen Augen beobachtete.
Alle Kinder, die die maitresse en titre ihm bisher geschenkt hatte, waren vom König legitimiert worden, wenngleich er vorher den Tod seiner Mutter abgewartet hatte.
Zweifellos hätte es Maries Plan begünstigt, wenn sie ebenfalls ein Kind von ihm empfangen hätte. Aber sosehr sie sich auch mühte, es wollte nicht gelingen. Ihre Blutungen setzten jeden Monat mit der Pünktlichkeit eines Uhrwerks ein, und ihr Bauch blieb flach. Sie machte sich keine großen Gedanken darüber, schließlich war sie noch jung, und jedes Zusammensein mit dem König vergrößerte die Möglichkeit, guter Hoffnung zu werden.
Die Langeweile, die ihren Tagesablauf bestimmte, brachte sie dazu, dem König ein Pferd abzuschmeicheln. Sie dachte, dass sie dann an den regelmäßig stattfindenden Jagden
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