Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
unter ihren Füßen, sonst war es still. Marie ging weiter. Sie gelangte in einen großen Raum mit hohen gläsernen Flügeltüren, die einen Blick auf die Umgebung gestatteten und auf eine Terrasse führten.
Die wenigen Möbel wirkten ebenso abgewohnt und schäbig wie der verblichene Teppich. Staub lag in einer dichten grauen Schicht, wohin man sah. Keine Frage, dass hier an allen Ecken und Enden das Geld fehlte.
Sie blieb vor den Terrassentüren stehen. Das Haus befand sich auf einer Anhöhe, von der man sanfte Hügel und endlose Ebenen überblickte, auf denen Zypressen wie Zeigefinger in die Höhe ragten. Vereinzelt drückten sich Häuser in die Landschaft und in weiter Ferne glitzerte das Band eines Wasserlaufs.
Sie atmete tief durch. Das idyllische Bild beruhigte sie nicht im Geringsten. Hier sollte sie den Rest ihres Lebens verbringen. Innerhalb eines halben Jahres war sie aus dem Nichts nach Versailles gekommen, hatte in der Gunst des Königs gestanden und letztlich doch wieder alles verloren. Tränen stiegen in ihren Augen auf. Ihre Träume hatten sich aufgelöst wie Schnee in der Sonne. Weder war sie die maitresse royale en titre geworden, noch hatte sie Titel und Besitzungen erhalten. Außerdem war es ihr unmöglich gewesen, Geld für eine gesicherte Zukunft zurückzulegen oder wichtige persönliche Kontakte zu knüpfen, die sie auf Umwegen weiterbrachten.
Sie konnte es drehen und wenden, wie immer sie wollte, aber das hier war alles, was ihr blieb. Ob es ihr gefiel oder nicht. Mit zitternden Händen wischte sie die Tränen weg und straffte entschlossen den Rücken. Sie würde nicht mehr weinen. Sie würde nicht jammern. Sie würde das Beste aus dem machen, was das Schicksal ihr anbot.
Marie wandte sich ab und ging daran, die anderen Räume zu inspizieren. Auch hier herrschte altmodische, abgewetzte Möblierung ohne verspielte Deckchen und anderen nutzlosen Zierrat vor. Das Fehlen einer weiblichen Hand war unübersehbar.
In einem der Zimmer hingen die Bilder eines streng auf den Betrachter herabblickenden Mannes und einer wesentlich jüngeren, wesentlich freundlicher wirkenden Frau. Ob das die Eltern des Chevaliers waren?
Sie hörte Stimmen und ging ihnen nach.
»Das heißt also, du hast in meiner Abwesenheit nichts von dem getan, was ich dir aufgetragen hatte?«
»Der Ziegelbrenner ist der Ansicht, dass er erst wieder liefern wird, wenn wir unsere Schulden bezahlt haben. Wie sollte ich ihn vom Gegenteil überzeugen?«
Der Mann, der so gelassen antwortete, saß an einem Tisch, füllte sein Glas aus der Flasche, die vor ihm stand, und erwiderte unbekümmert den zornigen Blick des Chevaliers, der ihm gegenüber am Kamin lehnte. »Da du deine Aufgabe erfüllt hast, müssen wir uns ja in Zukunft über all diese Widrigkeiten keine Gedanken mehr machen«, setzte er hinzu und sah zu Marie hinüber. »Möchtest du mir unseren Gast nicht vorstellen?«
Der Chevalier folgte seinem Blick. Ohne seine Haltung oder den Tonfall zu verändern, sagte er: »Das ist meine ...«, er unterbrach sich, »... das ist die neue Madame de Rossac. Marie, mein Bruder Troy.«
Sie nickte, doch der Mann stand auf, kam zu ihr und hob ihre Hand andeutungsweise an seine Lippen. Die Ähnlichkeit mit seinem Bruder war unverkennbar, allerdings wirkten seine Züge weicher und seine Augen besaßen die Farbe eines kühlen Novemberhimmels.
»Herzlich willkommen auf La Mimosa, verehrte Schwägerin. Ich bin Euch sehr dankbar, dass Ihr dem Haus seinen alten Glanz zurückgeben werdet.«
Marie roch den Wein in seinem Atmen und wich ein Stück zurück. »Danke, Schwager, für Euer Willkommen. Was das andere betrifft ... ich nehme an, Euer Bruder wird Euch über alles aufklären.«
Troy hob die Brauen. »Was soll es da aufzuklären geben? Eure Mitgift wird unser Heim, das in Zukunft auch das Eure sein wird, wieder zu dem machen, was es einmal war.«
Marie drehte sich um, ohne auf seine Worte einzugehen. Sollte sich doch ihr Ehemann darum kümmern. »Wo werde ich wohnen?«
»Es stehen genug Zimmer frei, sucht Euch aus, was Euch gefällt. Ich muss in den Kellern nach dem Rechten sehen«, entgegnete ihr Ehemann und wandte sich an seinen Bruder. »Führ sie herum.«
Troy blickte von einem zum anderen. »Was immer du wünschst, Tris.« Er machte sich keine Mühe, den Sarkasmus in seiner Stimme zu verbergen. »Kommt, Schwägerin, ich darf Euch doch in Zukunft Marie nennen?«
»Gerne.« Sie griff nach dem dargebotenen Arm und verließ den Raum.
Weitere Kostenlose Bücher