Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
Waffenstillstand zwischen ihr und Tris geherrscht. Wenn sie sich begegneten, gingen sie mit distanzierter Höflichkeit miteinander um. Troy dagegen saß jeden Tag mit ihr zusammen und überwachte ihre Fortschritte beim Schreiben und Lesen.
Sie mochte seine trockenen Kommentare und den Humor, der oft in seinen Augen aufblitzte. Er war umgänglicher als Tris, und bei ihm hatte sie nicht das Gefühl, sich dauernd für irgendetwas verteidigen zu müssen. Außerdem verfügte er nicht über jene erregende Ausstrahlung, die sie immer daran erinnerte, wie es war, Tris tief in sich zu spüren.
Die beiden Männer blieben vor ihr stehen und musterten sie. Marie hob den Kopf. An solche abschätzenden Blicke hatte sie sich in Versailles gewöhnt, damit konnte sie umgehen. Troy lächelte sie schließlich bewundernd an. »Du siehst bezaubernd aus, Marie.«
»Danke.« Sie wartete, ob Tris ihr ebenfalls ein Kompliment machen würde, doch er hatte sich bereits abgewandt und justierte vor dem großen Spiegel seine Halsbinde. Sie spürte einen feinen Stich in ihrem Herzen. Und das machte ihr größere Angst als alles andere.
Fanette führte die ersten Gäste in den Salon, und Tris ging dem Ehepaar entgegen. »Madame und Monsieur de Karelian, ich freue mich sehr, dass Ihr meine Einladungen angenommen habt.« Er verbeugte sich vor der Frau und tauschte mit dem Mann einen Handschlag aus. »Ich darf Euch meine Frau Marie vorstellen.«
Marie lächelte die beiden an. »Es ist mir ein Vergnügen, Euch kennen zu lernen. Dieser Fächer ist wirklich wunderschön, Madame de Karelian«, fügte sie hinzu und blickte den geschnitzten Elfenbeinfächer bewundernd an. »Einen ganz ähnlichen besitzt die Königin Maria-Theresia.«
»Tatsächlich?«, fragte Madame de Karelian überrascht. »Nun, es ist ein Erbstück meiner Mutter. Sie kam aus Spanien wie unsere Königin.«
»Seht Ihr, das kann kein Zufall sein«, rief Marie aus.
»Ihr müsst mir unbedingt von Versailles erzählen. Ich träume davon, es einmal mit eigenen Augen zu sehen. Aber Bernard ist nicht dazu zu bewegen, er verabscheut lange Reisen.«
»Natürlich erzähle ich Euch gerne von Versailles. Doch im Augenblick muss ich die anderen Gäste begrüßen und bitte Euch, mich zu entschuldigen. Später bleibt uns Zeit genug. Wenn Ihr Euch in den Salon begeben wollt, dort stehen Erfrischungen bereit.«
Die beiden gingen ins angrenzende Zimmer, und Marie wandte sich den nächsten Neuankömmlingen zu. Auf diesem Terrain fühlte sie sich sicher. Lächeln, Konversation machen, hübsch aussehen und Interesse heucheln. Darin hatte sie in Versailles Routine erlangt.
Die Gäste waren samt und sonders Ehepaare in den Dreißigern, die ihre unmittelbare Umgebung noch nie verlassen hatten und Marie deshalb wie eine exotische Blume bestaunten. Sie lächelte, plauderte charmant und entspannte sich zusehends. Mit einem strahlenden Lächeln ging sie auf das nächste Ehepaar zu, das neben Tris stand.
Die Größe des Mannes ließ die Frau neben ihm noch zierlicher erscheinen. Er überragte sogar Tris um Haupteslänge und sein riesiger runder Kopf war mit goldblonden Locken bedeckt. Seine Arme erinnerten Marie an den Stampfer im Butterfass ihrer Eltern, ja sein ganzer Körper wirkte trotz der feinen Kleidung klobig. Die weit aufgerissenen, hellblauen Augen starrten sie an und sein Mund stand leicht offen. Irgendetwas an ihm erschien ihr merkwürdig.
Marie wandte sich an die Frau, die vor ihm stand. Ihr Gesicht war ein perfektes Oval. Schweres, goldbraunes Haar türmte sich auf ihrem Kopf, über ihren ebenfalls goldbraunen Augen wölbten sich schmale, dunkle Brauen. Sie trug das mit Abstand kostbarste Abendkleid aller Gäste.
»Willkommen auf La Mimosa.« Marie lächelte und blickte dann zu Tris, der für gewöhnlich die Vorstellung übernahm. »Comte du Plessis-Fertoc und seine Gattin Ghislaine.«
Maries Lächeln gefror. Im ersten Moment glaubte sie sich verhört zu haben. Doch die Frau streckte ihr anmutig die Hand entgegen. »Erfreut, Euch kennen zu lernen, Madame de Rossac. Wir sind alte Freunde Eures Gatten.«
Marie atmete scharf ein. »Das glaube ich gerne.« Sie wirbelte herum. »Wie kannst du es wagen, deine Geliebte in mein Haus zu bringen?«
Obwohl er keine Miene verzog, hatte sie den Eindruck, dass er eine Nuance blasser wurde. »Nun, es ist in erster Linie mein Haus, und ich entscheide, wer an meinem Tisch sitzt.«
Marie stemmte die Hände in die Hüften. »Gut. Dann entscheide dich. Sie
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