Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
zog die Strähnen von Delandras Mähne durch die Finger. »Danke.«
Er hielt in seinem Tun inne. »Marie, ich hatte keine Ahnung, dass du gestern den ganzen Tag damit verbracht hast, den Salon sauber zu machen und neu herzurichten.«
Marie zuckte die Schultern. »Ich glaube nicht, dass das wichtig ist.«
»Doch. Warum hast du nichts gesagt? Warum hast du dich von mir abkanzeln lassen?«
»Es ist doch das, was du mir versprochen hast. Du wolltest mein Leben in nicht enden wollenden Schmerz verwandeln«, erinnerte sie ihn bitter.
»Neben einem beklagenswerten Hang zur Impulsivität, der mich schon des Öfteren in Schwierigkeiten gebracht hat ...«, er grinste ohne das geringste Anzeichen von Schuldbewusstsein, »... ist einer meiner wenigen Charakterfehler Jähzorn. Wenn all jene, denen ich lautstark Pest und Verdammnis an den Hals gewünscht habe, tatsächlich gestorben wären, wäre der Landstrich hier entvölkert. Ich neige zu dramatischen Wutausbrüchen, aber ich bin nicht über Gebühr nachtragend«, sagte er.
»Nein?«, fragte sie ironisch und dachte an ihre Hochzeitsnacht bei Madame Dessante.
»Nein. Und wie du ganz richtig gesagt hast, muss ich dafür sorgen, dass du dich die nächsten sechzehn Jahre bester Gesundheit erfreust, wenn ich aus dem Handel einen Vorteil ziehen will.«
Marie schwieg und er fing wieder an, das Fohlen trocken zu reiben. »Du bist nicht schwanger.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Nein«, sagte sie. »Weder vom König noch von dir.«
»Warum hast du dann ...«
»Weil ich hoffte, dass es ein Ausweg wäre. Der König anerkennt alle seine Bastarde. Ich hätte Titel und Landbesitz bekommen, statt ...«
»Statt?«, hakte er ein.
Sie machte eine ausholende Handbewegung. »Statt all dem hier.«
»Warum hast du dann an deinem ersten Tag angefangen, dich häuslich einzurichten? Wenn es dir so zuwider ist?«
Sie reckte das Kinn vor und ihre Augen begannen zu brennen. »Weil es alles ist, was ich habe. Weil es alles ist, was mir von meinen Träumen geblieben ist.« Sie senkte den Kopf, da sie spürte, wie Tränen über ihre Wangen liefen. »Es ist alles, was ich noch habe.«
»Und dein Traum war tatsächlich, maitresse royale en titre zu werden?« Unglauben schwang in seiner Stimme.
»Ja. Nein.« Marie wischte mit dem Handrücken über ihr Gesicht. »Mein Traum war, nie wieder schuften zu müssen, bis ich jeden Knochen in meinem Körper spüre. Mein Traum war, mir alles kaufen zu können, was mir gefällt. Mein Traum war, mit Respekt behandelt zu werden. Mein Traum war, geliebt zu werden.«
Er schwieg eine Weile. »Das sind Kinderträume, Marie. Davon träumt jeder«, sagte er dann unerwartet sanft.
»Ach ja. Jeder träumt davon. Du auch?«, fragte sie bissig.
»Ich träumte davon, eine Frau mit so viel Vermögen zu heiraten, dass ich mir keine Sorgen um die nächste Ernte machen muss. Ich träumte davon, La Mimosa zu dem zu machen, was es vor fünfzig Jahren war. Ich träumte davon, so viel Geld zu besitzen, dass ich imstande wäre, Troy an die Universität nach Bordeaux zu schicken, damit er endlich Theologie studieren kann. Ich träumte davon, ihm einen hohen kirchlichen Würdentitel kaufen zu können.«
Sie blickte ihn skeptisch an. »Troy will Priester werden?«
»Er wollte es, aber weder war mein Vater bereit es zu gestatten, noch hatten wir das Geld dazu, ihm eine derartige Karriere zu ermöglichen. Deshalb besäuft er sich in regelmäßigen Abständen. Deshalb ist ihm La Mimosa so egal wie mir Versailles samt seiner lächerlichen, speichelleckenden Höflinge.« Er sah sie eindringlich an. »Diese Träume sind Träume und werden nie Wirklichkeit werden. Aber sie verstellen uns den Blick auf das wirkliche Leben. Sie hindern uns daran, mit dem zufrieden zu sein, was wir haben.«
Während er redete, hatte sich das Fohlen unbemerkt aufgerichtet und stand jetzt auf dünnen, wackeligen Beinen neben ihm. Tris legte einen Arm unter den Bauch und stützte es.
»Hoffen und Bangen, Lieben und Hassen, Gewinnen und Verlieren. Das ist zwar anstrengend, aber es ist das wahre Leben, nicht der Stoff, aus dem Träume sind.«
Die Beine des Fohlens knickten ein, und Tris legte es vorsichtig nieder. Den Kopf bettete er an den Zitzen der Stute.
Marie beobachtete ihn. Sein Haar hing ihm strähnig ins unrasierte, von Schmutz und Schweiß und Anstrengung gezeichnete Gesicht. Er musste müde und ausgepumpt sein. Trotzdem offenbarte sich in jedem seiner Handgriffe Fürsorge und
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