Die Nirgendwojagd
miteinander. Dann schrie Roha auf, ein schrecklicher, heiserer Schrei, der in ihrer Kehle kratzte. Er stach wieder zu, peitschte die Steinspitze des Speeres immer wieder durch das Nichts, bis sich die großen Teile des Geistes in immer kleinere Stücke teilten, hieb wieder zu, als sie miteinander zu verschmelzen versuchten. Roha schrie und zitterte, zerrte an sich, fühlte sich grauenhaft, als würden ihre Knochen durch die Haut stechen, als stehe ihre ganze Haut in Flammen. Rihon wirbelte den Speer immer wieder durch die Nachtluft über ihrem Kopf und drängte die sprudelnden kleinen Geister zurück.
Roha hob eine Hand, hob die andere, und das Brennen tropfte von ihr ab. Gehetzt blickte sie sich um, atmete keuchend große Schluck der feuchten Luft in sich hinein und zitterte so stark, daß sie nicht reden konnte. Die beiden Wächter rannten zu ihr, Speere bereithaltend, suchten nach dem Etwas, das die Zwillinge geängstigt hatte.
Rihon schwang seinen Speer wild durch den Nebel und vertrieb auch die letzte der Nichts-Kugeln. Roha raffte den grauen Kies zusammen und schleuderte die Steine nach den Geistern, ohne darauf zu achten, daß sie auch die Wachen trafen. Die Blasen wichen weiter zurück.
Die Hand eines Wächters schloß sich um ihr Handgelenk. Sie blickte auf, die Augen geweitet, eine Spur von Schaum an den Mundwinkeln. „Schwebende Geister”, zischte sie und zeigte auf die winzigen Sphären. „Sie wachsen und wachsen und saugen am Verstand …”
Sie riß die Hand frei und hob eine weitere Handvoll Kies auf. Mit einem Ausruf des Entsetzens rannte der Wächter los und zu Rihon, und sein Gefährte folgte verwundert, jedoch ge willt, gegen alles zu kämpfen, was sie angriff. Gemeinsam verjagten die drei Männer die Geister von der Lichtung.
Roha machte einen Luftsprung und wirbelte in einem improvisierten Triumphtanz umher, setzte ein wortloses Lied des Glücks in Bewegung um. Für den Augenblick erfüllte sie eine ekstatische Freude, lebendig und ganz in sich selbst geblieben zu sein. Rihon und die Wächter schlössen sich ihr an, lachten und rammten die stumpfen Enden ihrer Speere in den Boden. Als sie atemlos zum Stillstand kam, klatschte Rihon seine Handflächen immer wieder auf seinen Brustkorb und sang: „Schwebende Geister, Schwebende Geister, wir sind die Zwillinge, die Heiligen Zwillinge. Ihr könnt uns nichts anhaben, ihr könnt unser Ich nicht schlucken! Laßt euer Nichts vor uns vergehen. Wir lachen euch aus. Wir spucken euch an! Ho!”
Ameb wechselte seinen Speer von einer Hand in die andere. Er war Rihon ohne viel nachzudenken zu Hilfe geeilt, doch jetzt blickte er ein wenig töricht und verwundert drein. „Die kleinen Blasen im Nebel?” Er spähte umher, und sein Blick begegnete dem von Dunun, dem anderen Wächter. „Schwebende Geister?”
Roha sah ihren Unglauben. Für die Amar waren die Schwebenden Geister die entsetzlichsten aller Ungeheuer, Kreaturen, die nicht zu töten waren und die den hilflosen, unglücklichen Kriegern die Seelen aus dem Körper saugten, die dumm genug gewesen waren, sich in die Nebel vorzuwagen. Seit Generationen hatte sie niemand mehr gesehen, niemand wußte wirklich, wie sie aussahen. Ameb und Dunun konnten einfach nicht glauben, daß winzige Nichts-Kugeln im Nebel jene tödlichen Bestien waren, selbst wenn ihnen das die Heiligen Zwillinge sagten.
Rihon pochte mit dem stumpfen Ende seines Speeres ungeduldig auf den Boden. „Sie wachsen zusammen”, erklärte er laut. „Eine Blase hing über Roha. Eine Blase, größer als eure beiden Körper zusammen, mit Wurzeln wie die Sucher-Ranken des Mat-Akul, Wurzeln, die sich um ihren Kopf und ihre Schultern gewickelt haben …”
Entmutigt und angewidert von dieser Erinnerung, preßte Roha die Hände über die Wölbung ihres Schädels. „Er hat gesaugt.” Sie schluckte und schluckte und zitterte, bis sie kaum mehr stehen konnte. „Er hat den Geist aus meinem Körper gesaugt.”
Dunun blickte unbehaglich nach oben und suchte den Nebel nach den kleinen, leeren Kugeln ab. Das Grauen in Rohas Stimme hatte ihn mehr überzeugt als Rihons Erklärung. Ameb sah noch immer skeptisch aus, doch auch er schielte von Zeit zu Zeit hoch.
„Haltet nach ihnen Ausschau”, bestimmte Rihon eindringlich. Er wischte sich über das Gesicht. „Solange sie klein sind, können sie einem Rum nichts anhaben. Doch wenn man sie groß werden läßt…”
Die Wächter nickten, entfernten sich dann und teilten ihre Aufmerksamkeit jetzt
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