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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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sah der Magier Amalfitano an und bat ihn, in seiner Brieftasche nachzuschauen. Er ist mehr als drei Meter von mir entfernt, dachte Amalfitano, wenn es einen Trick gibt, muss er sehr gut sein. In seiner Brieftasche, zwischen einem Foto von Rosa im Alter von zehn Jahren und einem vergilbten und verknitterten Stück Papier, fand er die Karte. Welche Karte ist es, mein Herr?, fragte der Magier, während er ihn scharf ansah, mit diesem seltsamen Akzent, den zu identifizieren Amalfitano schwerfiel. Die Herzdame, sagte Amalfitano. Der Magier lächelte ihn an, wie sein Vater es getan hätte. Perfekt, vielen Dank, sagte er, und bevor er ihm den Rücken kehrte, zwinkerte er ihm zu. Es war ein Auge, weder groß noch klein, braun mit grünen Sprenkeln. Dann ging er festen und man könnte fast sagen triumphierenden Schrittes weiter zu der Reihe, in der zwei Kinder in den Armen ihrer Eltern schliefen. Haben Sie die Güte, Ihrem Söhnchen für mich das Schühchen auszuziehen, sagte er. Der Vater, ein schlanker, sehniger Mann mit freundlichem Lächeln, tat, wie ihm geheißen. Im Schuh des Jungen befand sich die Karte. Amalfitano traten die Tränen in die Augen, und Castillos Finger strichen sanft über seine Wange. Herzkönig, sagte der Vater. Der Magier nickte. Und jetzt das Schühchen des Mädchens. Der Vater zog der Kleinen den Schuh aus und hielt eine weitere Karte in die Luft, damit alle sie sehen konnten. Und welche Karte ist es, mein Herr, wenn Sie so nett wären? Der Joker, sagte der Vater.

15
     
    Amalfitano hatte häufig Albträume. Der Traum (einer, in dem sich Edith Lieberman und Padilla zu einer Once trafen, einem chilenischen Brunch mit Tee, Knusperschnitten und Butterbirne, Tomatenmarmelade von seiner Mutter, süßen Hefebrötchen und hausgemachter Butter, zartgelb wie die Papiere von Ingres-Fabriano) öffnete sich und gab den Weg frei für den Albtraum. Dort, in der Einsamkeit, spazierte Che Guevara einen düsteren Korridor auf und ab, an dessen Ende riesige, diamantene Eisberge dräuten und knirschten und zu stöhnen schienen wie bei der Geburt der Geschichte. Warum habe ich die Elisabethaner übersetzt und nicht Isaak Babel oder Boris Pilniak?, fragte sich Amalfitano untröstlich, ohne den Albtraum verlassen zu können, aber noch mit letzten Fetzen des Traums (der ganze weite Horizont jenseits der Eisberge war Edith Lieberman und Padilla bei ihrer leckeren Once) in den leeren, eiskalten, fast durchsichtigen Händen. Warum bin ich nicht wie die listige Ratte zwischen den Gitterstäben der Lenin-Preise und Stalin-Preise und Koreanischen Unterschriftensammlerinnen für den Frieden durchgeschlüpft und habe entdeckt, was es zu entdecken gab und was nur die Blinden nicht sehen? Warum habe ich nicht auf einer dieser todernsten Versammlungen linker Intellektueller gesagt, die Russen Chinesen Kubaner vermasseln es? Die Marxisten unterstützen? Die Parias unterstützen? Mit der Geschichte gehen, gerade wo die Geschichte niederkommt? Ihr wortlos auf halbem Weg beim Kreißen helfen? Irgendwie, sagte sich Amalfitano in einem doktoralen Ton vom Grund des Albtraums aus und mit einer Reibeisenstimme, die nicht seine war, übernehme ich die Schuld für nicht begangene Verbrechen, Masochist, schon 1967 hatte man mich aus der Chilenischen Kommunistischen Partei geworfen, die Kameraden beleidigten und verleumdeten mich, ich war kein populärer Typ. Wessen beschuldige ich mich also? Ich habe Isaak Babel nicht umgebracht. Habe Reinaldo Arenas nicht das Leben versaut. Habe nicht die Kulturrevolution angezettelt oder die Viererbande verherrlicht wie die lateinamerikanischen Intellektuellen. Ich war der ungeratene Sohn Rosa Luxemburgs, und jetzt bin ich der schwule Alte, beide Male Zielscheibe von Hohn und Spott. Für was gebe ich mir also die Schuld? Für meinen Gramsci, meinen Situationismus, meinen Kropotkin, den Oscar Wilde zu den besten Menschen auf Erden zählte? Für meine Hirnwichserei, meine staatsbürgerliche Verantwortungslosigkeit? Dafür, die Koreanischen Unterschriftensammlerinnen für den Frieden gesehen und sie nicht gesteinigt zu haben? (Ich hätte sie aufgebockt, dachte Amalfitano aus dem Eisbergstrudel, hätte es ihnen von hinten besorgt, einer nach der anderen, diesen falschen Koreanerinnen, bis ich gesehen hätte, wer sich hinter ihnen verbirgt: Ukrainische Weizenaufsammlerinnen für den Frieden, Ungarische Passantenaufsammlerinnen für den Frieden, Kubanische Venusmuschelaufsammlerinnen in Unbarmherziger

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