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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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ihrer berittenen Verfolger.
    Im Morgengrauen gelang es dem späteren Korporal und zwei weiteren Soldaten, sich von ihren Fesseln zu befreien und querfeldein zu fliehen. Nur der Korporal kam mit dem Leben davon. Nach zwei Wochen erreichte er El Tajo. Er wurde dekoriert und blieb noch bis 1867 in Mexiko, um dann mit der Armee von Bazaine nach Frankreich zurückzukehren, welcher sich aus Mexiko zurückzog und den Kaiser seinem Schicksal überließ.

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    Manchmal kam sich Amalfitano vor wie der Fürst von Antiochia oder der nostalgische Ritter von Tyros, wie der König von Tarsos oder der Herr von Ephesos, Städte und Abenteurer des Mittelalters, von denen er einmal gelesen, schlecht gelesen hatte, was der Begeisterung allerdings keinen Abbruch tat, ein christlicher, vom Pech verfolgter Adliger, verwickelt in Radau, Exil und unendliche Wirrungen, begleitet von einer schönen Tochter und einer Aura, welche die Zeit noch verstärkte, indem sie sie zerstörte. Wie in der Erzählung von Alfonso Reyes (der Herr nehme ihn auf in sein Reich, dachte Amalfitano, der ihn wirklich mochte) mit dem Titel »Glücksgüter des Apollonius von Tyros« aus seinen » Realen und Imaginären Porträts« . Ein entthronter König, dachte er, auf Irrfahrt zwischen den Inseln des Mittelmeers, gemalt vom sogenannten Michelangelo der Comics, dem Schöpfer von Prinz Eisenherz, jenen paradiesischen und höllischen Inseln, auf denen Eisenherz Aleta kennenlernte, wo aber auch der Ritter von Epirus seine ungerechte Verfolgung beweinte und der atemlose Abenteurer von Mytilene die Geschichte seiner Missgeschicke erzählte, Figuren, wie Reyes ausführt, vom griechischen oder römischen Grund der Erinnerung, und genau dort befand sich die trügerische Seite der Angelegenheit, ihre beunruhigende und aufschlussreiche Seite: Der vagabundierende Fürst versteckte Odysseus und der Baron von Theben Theseus, obwohl beide christliche Ritter waren und morgens und abends ihr Gebet verrichteten. In dieser Falschheit entdeckte Amalfitano unbekannte Gefilde seines Charakters. Im griechischen König, der mit seiner Tochter von Kloster zu Kloster floh, von einsamer Insel zu einsamer Insel, als würden sie rückwärts reisen, vom Jahr 1300 ins Jahr 500 und vom Jahr 500 ins Jahr 20 vor Christus, und so sah er, in immer größerer Ferne, die Unzulänglichkeit seiner Kräfte, die fundamentale Naivität seines Kampfes, Lügengestalt von einem Schreibstubenmönch. Fehlte nur noch der Verlust des Augenlichts, und dass Rosa, die geliebte Blindenführerin, mich von Hörsaal zu Hörsaal führte, dachte er niedergeschlagen.

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    Als Amalfitano erfuhr, dass seine Tochter in Begleitung eines Schwarzen verschwunden war, fiel ihm unpassenderweise ein Satz von Lugones ein, den er vor vielen, sehr vielen Jahren gelesen hatte. Lugones’ Worte lauteten wie folgt: »Die Jugend ist bekanntlich das intellektuellste Stadium des Affen, dem Neger darin ähnlich«. Ein Dreckskerl, dieser Lugones! Und dann fiel ihm die Erzählung ein, das Thema von Lugones’ Erzählung: Ein Mann, ein Neurotiker, der Erzähler, bemüht sich jahrelang, einem Schimpansen das Sprechen beizubringen. Alle seine Anstrengungen sind vergeblich. Eines Tages ahnt der Erzähler, dass der Affe sprechen kann, sprechen gelernt hat, aber das listigerweise verheimlicht. Amalfitano weiß nicht mehr, ob aus Angst oder Atavismus. Sicher aus Angst. Angesichts der Unerbittlichkeit seines Lehrers erkrankt der Affe kurz darauf. Sein Sterben wirkt fast menschlich. Der Mann pflegt ihn wie seinen eigenen Sohn. Als es zu Ende geht, flüstert der Affe: Wasser, Meister, mein Meister, mein Meister. Hier endete Lugones (eine Sekunde lang stellte Amalfitano ihn sich vor, wie er sich in der dunkelsten und kältesten Ecke seiner Bibliothek eine Kugel in den Mund schießt, in einer Dachkammer voller Spinnweben Gift nimmt, sich nackt am höchsten Balken seines Badezimmers erhängt, aber konnte es sein, dass es in Lugones’ Bad Dachbalken gab?, wo hatte er das gelesen oder gesehen?, Amalfitano wusste es nicht) und begann, von einem Affen zum nächsten, der Text von Kafka, dem chinesischen Juden. Welch unterschiedliche Blickwinkel, dachte Amalfitano, der geliebte Kafka schlüpfte einfach so in die Haut des Affen; Lugones wollte ihn sprechen lassen, Kafka ließ ihn sprechen. Lugones’ Erzählung, die er für außerordentlich hielt, war eine Horrorgeschichte. Die von Kafka, der unverständliche Text von Kafka, kreuzte ebenfalls in den Breiten

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